Edito

von Constanze Warta, EBF, 07.01.2024, Veröffentlicht in Archipel 332

Liebe Leserin, lieber Leser,

Ein «Gutes Neues Jahr» zu wünschen, finde ich im Moment unpassend – was ist schon gut? Wo liegt heute die Grenze zwischen Gut und Böse? Was wir brauchen ist MUT. So wünsche ich uns allen ein «Mutiges Neues Jahr». Mut zum Ungehorsam. Mut, sich nicht unterzuordnen. Mut, um diejenigen zu unterstützen, die sich gegen die masslose vernichtende Gewalt auflehnen.

Palästinenser·innen, die die mörderischen Taten der Hamas verurteilen; Israelis, die gegen die grausame Kriegsführung ihrer Machthaber protestieren. Russinnen, die auf die Strasse gehen, um für die Rückkehr ihrer Männer, Brüder und Freunde aus dem Krieg zu demonstrieren.

Wir hier riskieren nichts, wenn wir uns tagelang, wochenlang und inzwischen seit Monaten über die Vorgangsweisen der verschiedenen Lager aufregen, Partei ergreifen, debattieren. Wir warten nicht wie die Menschen dort mit Angst und Bangen auf die Freilassung eines uns lieben Menschen aus der Geiselhaft. Wir müssen nicht unsere Kinder tot aus den Trümmern bergen, die einmal unser Haus waren.

Und auf das einzige Risiko hin, dass womöglich Einzelne den Archipel abbestellen, schreibe ich: Keine Regierung und keine Organisation hat das Recht, Menschen umzubringen, nur weil sie auf der anderen Seite einer Grenze leben, eine andere Religion, eine andere Geschichte haben. Keine Geschichte rechtfertigt es, unschuldige Kinder und Erwachsene massenweise zu töten. In keinem Land! Freilich ist es wichtig, die Tatsachen und Hintergründe zu sehen und zu durchleuchten, um so gewisse Zusammenhänge verstehen zu können. «Die Geschichte» – immer weitergetrieben – wird jedoch vornehmlich auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen. Und logischerweise versuchen die Machthaber·innen und die nach Macht Strebenden, die Menschen für ihre Interessen zu gewinnen, ohne ihnen jedoch ihre menschenverachtende Strategie zu verraten, im Zuge derer sie dann vertrieben und entwurzelt werden. «Das grösste Böse ist nicht radikal, es hat keine Wurzeln, und weil es keine Wurzeln hat, hat es keine Grenzen, kann sich ins unvorstellbare Extreme entwickeln und über die ganze Welt ausbreiten, » schrieb Hannah Arendt. Wie Recht sie hat!

Versuchen wir, radikal zu sein, uns auf das Gute in uns zu besinnen. Bringen wir den Mut auf, mit aller Kraft gegen den Strom der Kriegshetze zu schwimmen.

Constanze Warta, EBF