Die Reise der Zapatistas nach Europa wurde vor sechs Monaten angekündigt – jetzt ist es so weit: Anfang Mai bestiegen sie das Schiff für die «umgekehrte Eroberung».
Am 26. April setzte sich die erste Delegation der Zapatistas in Bewegung und zwar ausgehend von Morelia im Südwesten Mexikos. Von dort ging es dann zu einem mexikanischen Hafen, wo das Schiff mit dem Namen «The Mountain» auf sie wartete, und am 3. Mai begann die Überquerung des Atlantiks in Richtung Europa. Diese Gruppe der Zapatistas – mit dem Namen «Eskadron 421» – ist unter der kompetenten Navigation der Schiffsbesatzung während eineinhalb Monaten den Unwägbarkeiten des Ozeans ausgesetzt. Sie soll in der zweiten Junihälfte in Sichtweite der europäischen Küste eintreffen. Diese erste maritime Delegation wurde auf den Namen «Eskadron 421» getauft, weil sie aus vier Frauen, zwei Männern und einer Transgender-Person besteht.
Dieser Aufbruch ist der Beginn von monatelangen intensiven Aktivitäten, Treffen und Austausch mit etlichen engagierten Kollektiven, Projekten und Initiativen in ganz Europa. Die Zapatistas wurden in viele verschiedene Länder eingeladen: Österreich, Belgien, Bulgarien, Katalonien, Sardinien, Kroatien, Zypern, Dänemark, Slowenien, Finnland, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Niederlande, Ungarn, Italien, Luxemburg, Norwegen, Baskenland, Polen, Portugal, Rumänien, Russland, Serbien, Spanien, Schweden, Schweiz, Türkei und Ukraine.
Hunderte von Treffen und Aktivitäten wurden ihnen vorgeschlagen und werden derzeit vorbereitet. Geplant sind grosse Versammlungen, aber auch Aufenthalte in einzelnen Projekten wie z.B. bei Landbesetzungen, in selbstverwalteten Bewegungen auf dem Land und in der Stadt, in feministischen Kollektiven bis hin zu allen Gruppen, die in verschiedenen Formen Migrant_inn_en unterstützen. Ein Austausch mit territorialen Widerstandsbewegungen gegen grosse zerstörerische Projekte, mit Netzwerken gegenseitiger Hilfe in den Metropolen sowie in ländlichen Regionen, in denen andere Lebensweisen entworfen werden, ist ebenfalls auf dem Programm. Lang (und hier unvollständig) ist die Liste des Archipels von Rebellionen gegen die verschiedenen Aspekte der kapitalistischen Barbarei und der Projekte zur Herbeiführung anderer, erstrebenswerterer Welten. Vorläufig ist noch nicht klar, wann genau wieviele Zapatistas sich an welchen Orten aufhalten werden. In der Vorbereitung ihrer Ankunft haben wir wieder einmal gesehen, dass die Uhren nicht überall gleich ticken, dass Zeit ein sehr relativer Begriff sein kann und die gegenseitigen Erwartungen mit viel Einfühlungsvermögen einhergehen müssen. Umso spannender wird wohl der gemeinsame Austausch in den nächsten Monaten.
Constanze Warta, EBF
KASTEN 1
«Die Reise der zapatistischen Delegation eröffnet die Möglichkeit, einander kennenzulernen, einander zuzuhören und zu sehen. Wir beauftragen sie, den Samen des Kampfes für das Leben der Menschheit und aller Lebewesen, die die Erde bewohnen, zu tragen. (...) Wir waren gezwungen, diese Entscheidung zu treffen und trotz des Virus, der uns gefangen hält, abzureisen. Das kapitalistische System bleibt nicht stehen, schreitet voran, und mit ihm die Ausplünderung, Beraubung und Zerstörung von Lebewesen, wie es beim Maya-Zug, dem transozeanischen Korridor und anderen Megaprojekten der Fall ist (...) Wir haben gesehen, dass es notwendig ist, auf den Schmerz, die Wut und die Träume der Schwestern und Brüder aus anderen Teilen der Welt zu hören. (...) Wir sind noch am Leben, trotz eines Vernichtungskrieges während fünf Jahrhunderten. Die Conquistadores hatten uns unterjocht, aber unsere Vorfahren haben diesem Vernichtungskrieg widerstanden.(…)» für das Geheime Revolutionäre Indigene Komitee: Comandante Jaquelin
KASTEN 2
Der Aufstand der Zapatistas 1994 wehrten sich die Menschen in Chiapas gegen Ausbeutung, Rassismus, Unterdrückung der Frauen und aller benachteiligten Geschlechter, gegen Militarisierung, Umweltzerstörung und die Marginalisierung der indigenen und ländlichen Bevölkerung durch die Herrschaft der Grossgrundbesitzer, der politischen Funktionäre und der mexikanischen und transnationalen Konzerne. Dagegen setzen die Zapatistas den Aufbau rebellischer autonomer Strukturen in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Selbstverwaltung, Geschlechtergerechtigkeit, Produktion, Medien und Rechtsprechung. Seit ihrer Rebellion von 1994 konnten sie viele Verbesserungen für ihre soziale Basis und für die vieler anderer Bewegungen erreichen. Zudem inspirieren sie bis heute viele soziale Kämpfe – in Mexiko wie auch weltweit.
- Siehe auch Artikel «Die Zapatistas kommen zu uns», Archipel Nr. 300