TÜRKEI: STAUDAMMPROJEKTE

de Markus Heizmann,Arlesheim, Schweiz, 17 mars 2006, publié à Archipel 134

Davon am meisten betroffen sind Syrien und der Irak: Die Wasserversorgung Syriens ist zu 70 Prozent vom Euphrat und die des Irak zu 99 Prozent von Euphrat und Tigris abhängig. Finanziert wurde das Projekt vor allem von westlichen Investoren.

(...) Aus eigener Kraft wäre die Türkei nicht in der Lage, auch nur einen Bruchteil des GAP-Projektes zu verwirklichen. Auch den westlichen Geldgebern ist klar, dass die politische Situation der Türkei nicht gerade dem entspricht, was man unter einem «investionsfreundlichen Klima» versteht. Die wirtschaftliche Krise, das breite Misstrauen in der Bevölkerung gegenüber dem EU-freundlichen Kurs der Regierung, soziale Unruhen und die keineswegs befriedete Situation in den kurdischen Gebieten machen das Land zu einem unsicheren Kandidaten für die scheinbar harte Währung der westlichen Welt.

Vom ökonomischen Standpunkt aus gesehen gibt es absolut keinen Grund, in irgendein Projekt in der Türkei zu investieren, im Gegenteil: Ein Anlageberater, der seinen Kunden dazu rät, wirft alle Glaubwürdigkeit und Seriosität über Bord.

Die geostrategische Lage der Türkei und ihre Position als Ostpfeiler der NATO machen es für den Westen notwendig, das Land zu unterwandern und zu beherrschen. Das innenpolitische Klima jedoch macht die Türkei unberechenbar – nicht nur für Investoren.

Um dem entgegen zu treten, sind die westlichen Regierungen dazu übergegangen, an Firmen, welche in die besagten Staudammprojekte investieren, so genannte «Exportrisikogarantien» zu vergeben. Im Klartext bedeutet dies: Eine Firma liefert Maschinen, technisches Gerät, know how etc. an die Bauherrschaft des Illisu-Staudammes. Falls die Türkei nun außerstande ist, diese Firma zu bezahlen, muss dies zum Beispiel die Schweizer Regierung tun, sie hat die «Exportrisikogarantie» vergeben. Andere europäische Länder haben andere gesetzliche Regelungen, das Prinzip jedoch bleibt sich gleich: Die Staudämme müssen gebaut werden, koste es was es wolle!

Eine Kolonie der USA?

US-Präsident George W. Bush sagte kurz nach seinem ersten Amtsantritt wörtlich: «Wenn sich ein Land nicht selber regieren kann, ist es völlig legitim, dass die USA eingreifen!» Dies mag als imperialistische Kraftmeierei abgetan werden. Tatsache bleibt jedoch, dass die USA noch nie davor zurück gescheut sind, sich in die Angelegenheiten autonomer Gemeinschaften einzumischen. Voraussetzung ist und war jedoch, dass sich diese Gemeinschaften die Einmischung auch gefallen lassen. Die heutige Türkei zählt ganz offensichtlich zu dieser Kategorie Länder. Stück für Stück verliert sie ihre Selbstständigkeit und wird mehr und mehr zu einer Marionette. So wurde beispielsweise der von März 2001 bis August 2003 amtierende Finanzminister der Türkei, Kemal Dervis nicht von der Regierung, nicht vom Parlament und schon gar nicht vom Volk eingesetzt, sondern – man höre und staune – direkt vom Internationalen Währungsfonds. Als ehemaliger Vizepräsident dieser Institution zeichnete Dervis dafür verantwortlich, dass die vom IWF diktierten Strukturanpassungen mög-lichst zügig umgesetzt wurden. Dies ist mithin ein Grund (wenn nicht der Hauptgrund) für die Wirtschaftskrise und die alarmierende Inflationsrate von jährlich 56 Prozent, gleichzeitig schrumpfte das Bruttoinlandprodukt im ersten Quartal von Dervis’s Amtszeit um 4,2 Prozent.

Europa und die USA als Beschützer Israels im arabischen Raum und die Türkei als treuer Vasall Europas und der USA. Vor diesem Hintergrund werden Euphrat und Tigris gestaut und machen Syrien und den Irak erpressbar, weil sie vom «türkischen» Wasser abhängig sind.

Wasser als Waffe

Wasser als Waffe wurde bislang nicht ausschließlich aber vor allem von Israel in Palästina eingesetzt: Während in den Haushalten oder den Dörfern der Palästinen-serInnen die Wasserversorgung vielleicht während einigen Stunden täglich, viel-leicht überhaupt nicht intakt ist, läuft in den Kibbuzim das kostbare Nass im Überfluss. Ökologisch katastrophale Plantagen und Zierrasen der Zionisten werden bewässert, swimming pools werden gefüllt, während es der palästinensischen Bevölkerung am notwendigsten fehlt. (...)

Anlässlich eines Besuchs von Sharon beim damaligen Ministerpräsidenten der Türkei, Bülent Ecevit, wurde unter anderem ausgehandelt, dass die Türkei 1000 türkische Panzer vom Typ M-60 von Israels Rüstungsindustrie modernisieren und überholen lässt. Die türkische Regierung will dieses Geschäft finanzieren, indem sie Süßwasser an Israel verkauft.1 Wasser als Waffe, nicht als Metapher, sondern offen und direkt nachvollziehbar!

Diese Wasserverträge mit Israel stoßen innerhalb der türkischen Gesellschaft auf heftige Kritik und der Widerstand dagegen kann nur mit Repression im Zaum gehalten werden. Nicht zuletzt deswegen sind die türkischen Gefängnisse übervoll. Die Tragödie und den Kampf der in der Türkei einsitzenden Gefangenen kann im Rahmen dieses Beitrages nicht gebührend gewürdigt werden.2

Und in Europa?

Die Staudammprojekte in der Türkei werden meines Wissens in den europäischen Medien nicht oder nicht mit der gebotenen politischen Analyse reflektiert. Wenn tatsächlich einmal über das GAP-Projekt berichtet wird, dann geschieht dies meist von einem ökologischen oder einem kulturhistorischen Standpunkt aus. Selbstverständlich: Die Zerstörung der Ökologie durch diese Mammutprojekte soll ebenso thematisiert werden, wie die Zerstörung von Kulturdenkmälern. Diese Herangehensweise lässt jedoch die politische Dimension - Wasser als Waffe - außer Acht.

Wohl wird in den Berichten kritisiert, dass die ansässige Bevölkerung vertrieben wird, weil ein Staudamm ihre Dörfer und Felder überschwemmen wird. Das Hauptproblem jedoch, nämlich dass diese Projekte die Türkei in die Lage versetzen, die Nachbarländer zu erpressen und damit die Region in einen lang anhaltenden Krisenherd zu verwandeln, wird kaum angesprochen.

Es ist auch relativ bequem, die türkische Regierung für die herrschenden Zustände voll verantwortlich zu machen. Ohne Unterstützung und massive Hilfe der USA, Europas und Israels könnte die türkische Regierung weder ihre menschenverachtende Gefängnispolitik, noch ihre kriegerischen Staudammprojekte umsetzen. Mit anderen Worten: Wir in Eu-ropa sind dazu aufgerufen, uns mit der Opposition in der Türkei zu solidarisieren. Dies allein jedoch kann keinesfalls genügen. Unser Protest muss sich an die Herrschenden hier richten:

Mit dem Regierungswechsel in der Türkei, mit Erdogan an der Macht hat sich wenig geändert. Ernst zu nehmende politische Analy-sten vertreten die These, dass keine türkische Regierung am Veto der Militärs vorbeikommt. Überspitzt formuliert: Der Militärputsch von 1980 wurde nie beendet. Der Bau der ökonomisch und ökologisch völlig überrissenen 22 Dämme ist micht nur ein Bewässerungs- und ein Energieprojekt – dazu wäre nicht ein derart gigantisches Bauvorhaben notwendig.

Zum Beispiel Hasankeyf

Betroffen vom Gigantismus des GAP-Projektes ist wie erwähnt, ein Gebiet von der Größe Österreichs. Betroffen sind Bauern, Gewerbetreibende, Menschen, welche mit dem Land auf dem und von dem sie leben, verwurzelt sind. Jedes einzelne dieser Schicksale bedeutet eine Tragödie. Betroffen sind jedoch auch kulturelle und historische Stätten, welche den Fluten geopfert werden sollen. Das wohl bekannteste Beispiel ist Hasankeyf3, die Stadt an der Seidenstrasse. Die GAP-Propaganda suggeriert, dass Hasankeyf vom Projekt nicht betroffen würde; die auf einem Hügel gelegene Stadt wird, so die Ingenieure, von den Fluten verschont bleiben. Nach Meinung von Experten ist dies jedoch Schönfärberei. Das Kalksteinmassiv, auf welchem die Stadt erbaut ist, wird dem Druck des Wassers nicht allzu lange standhalten können. Die Zerstörung der antiken Stätten würde also im besten Fall um einige Jahre aufgeschoben

Hasankeyf, UNESCO- Weltkulturerbe und vom Untergang bedroht. Unmittelbare Gefahr durch das GAP-Projekt droht zwar vordergründig nicht mehr. Die Stadt kann jedoch keineswegs aufatmen: Anstatt die Bevölkerung direkt und unmittelbar zu vertreiben, wendet der türkische Staat nun eine Zermürbungstaktik an. In die Infrastruktur der Region wird nichts oder fast nichts mehr investiert, die Menschen werden zur Abwanderung ermuntert.

Auch aus diesem Grund werden Besucher und Touristen von Hasankeyfs Bevölkerung willkommen geheißen und äußerst zuvorkommend behandelt. Zur Zeit unseres Besuches bot sich ein Junge, vielleicht 15 Jahre alt an, uns zu führen.

Wir waren alle erstaunt, mit welcher Kompetenz und mit welchem Wissen dieser Knabe Auskunft geben konnte. Er klärte uns darüber auf, dass sie in der Schule über die Vergangenheit ihrer Stadt belehrt würden und dass ihnen auch in der Schule und von den Eltern beigebracht würde, dieses Wissen an die Touristen weiter zu geben.

All das war äußerst spannend und aufschlussreich und wir wollen versuchen, das Gehörte wenigstens zum Teil wiederzugeben:

Wie weit die Höhlensiedlungen Hasankeyfs zurück datiert werden können, konnte unser Führer nicht sagen. Die Bauten jedoch, hauptsächlich der große und der kleine Palast, die Moscheen und die dazu gehörenden Minarette, wurden um 1400 gebaut. Sultan Hasan baute den großen Palast für sich selbst und den kleinen Palast für seine Töchter. (Daher auch der Name Hasankeyf). Über 8000 Höhlen wurden von Menschenhand in den Fels geschlagen, sie wurden als Wohnungen und als Tierställe genutzt. Zum Teil sind einige der Höhlen bis zum heutigen Tag bewohnt. 1972 Kam Süleyman Demirel anlässlich einer Wahltour nach Hasankeyf. «Mit Entsetzen» sah er, dass in der Türkei Menschen in Höhlen leben. Im Fall einer Wahl versprach er den Menschen «schöne Häuser». Diese «schönen Häuser», Fertighäuser, den US-amerikanischen mobile homes ähnlich, verunstalten nun den unteren Teil von Hasankeyf und die Ufer des Tigris.

Der damalige Bürgermeister reiste nach Ankara, um gegen diese Slumsiedlung zu protestieren: Es wurden weniger Häuser gebaut und viele in einer schlechteren Qualität als versprochen. Tatsächlich wurde er von Demirel empfangen und dieser sagte ihm, leider habe das Geld nicht gereicht, um für alle ein gutes, schönes Haus zu bauen, aber er, der Bürgermeister, solle sofort so ein Haus bekommen. Darauf sagte der Bürgermeister, er werde kein Haus beziehen, er werde in seiner Höhle wohnen, und wenn er hundert Jahre alt werden würde, dann würde er noch immer in seiner Höhle leben. Mit seinem Finger zeigte unser junger Führer auf eine der bewohnten Höhlen: «Dort lebt der alte Bürgermeister».

Die arabischen Einflüsse in Hasankeyf sind unverkennbar, und auf Schritt und Tritt begegnen wir arabischen Schriften.

Die Geschichte der Stadt, archäologisch, gesellschaftlich, sozial und politisch, von ihrer Entstehung bis zur Gegenwart, würde Bücher füllen. Erwähnt werden muss unbedingt, dass die Kulturen und Religionen in der alten Zeit friedlich und zum Teil auch unter demselben Dach zusammenlebten. So sahen wir die Ruine einer Moschee, und im Vorraum dieser Moschee sahen wir christliche Embleme, Kreuze und in den Stein gehauene Reliefs von christlichen Heiligen. Unser junger Führer erläuterte uns, dass die Forscher davon ausgehen, dass dieses Gotteshaus von den Muslimen und den Christen gemeinsam genutzt wurde!

Entwarnung?

Die gigantischen Staudammprojekte in der Türkei sind weder eine wirtschaftliche und schon gar keine ökologische Notwendigkeit. Dass diese These nicht an den Haaren herbei gezogen ist, beweist die jüngste Entwicklung: Nach den völkerrechtswidrigen Angriffen der USA gegen den Irak haben sich die meisten Investoren zurückgezogen. Das SECO (Staatsekretariat für Wirtschaft, Schweiz) ließ auf Anfrage verlauten:

«…Die Geschäftsstelle der ERG (Export Risiko Garantie) macht Sie darauf aufmerksam, dass in der Vergangenheit (1970/80er Jahre) Exportkreditgarantien für Lieferungen an Staudämme in der Türkei, darunter das von Ihnen erwähnte Atatürk-Projekt, erfolgt sind. Diese Projekte sind vollständig abgeschlossen…»

Ob demzufolge nun keine Schweizer Firmen mehr in das GAP-Projekt verwickelt sind, entzieht sich der Kenntnis des SECO.

Der Irak ist von den US Truppen und ihren Vasallen besetzt, Syrien lebt unter ständiger Bedrohung durch die USA und durch Israel. Eine direkte Notwendigkeit, die beiden Länder vom Wasser abzuschneiden, besteht also nicht mehr, die Investoren ziehen sich zurück.

Also Entwarnung für die betroffene Bevölkerung?

Leider nicht. Bei einem Besuch in der Region konnten wir feststellen, dass die Projekte nach wie vor und mit unverminderter Kraft vorangetrieben werden. In der Gegend von Tuncelli soll ein Stausee entstehen, welcher bis an die Grenzen der Stadt reicht und ein Gebiet von der Größe der Schweiz überschwemmen soll. Der bei der Weltbank nach wie vor hoch verschuldete türkische Staat hat offenbar genug finanzielle Mittel, um die Landeigentümer für die Landnahme zu entschädigen. Internetrecherchen haben ergeben, dass es nun in der Hauptsache österreichische Geldgeber sind, welche die notwendigen Finanzen vorschießen. Die Webseite dazu zeichnet ein Bild von glücklichen Frauen und Männern, die sich nichts sehnlicher wünschen, als ihr Land endlich zu verlassen, damit es überschwemmt werden kann.4 Dazu kommt, dass die Wasserverträge mit Israel nach wie vor bestehen.

Der Kampf um das Wasser

Die USA führen zurzeit im Irak einen erbitterten Raubzug um die Ölressourcen des Zweistromlandes. Ein ebenso wichtiger, weil lebensnotwendiger Rohstoff wie das Öl ist jedoch das Wasser. Durch die globale Klimaerwärmung und damit verbunden durch die Weigerung der USA, das Protokoll von Kioto zu unterzeichnen, ist absehbar, dass Wasser bald eine ähnliche Bedeutung haben wird wie heute Öl.

Zu diesem Rohstoff Sorge zu tragen, ihn sowohl ökonomisch als auch ökologisch sinnvoll und sozial zu nutzen, wäre das Gebot der Stunde. Dies würde allerdings bedeuten, dass eventuell notwendige Staudammprojekte nur nach seriösen Umweltverträglichkeitsprüfungen und nach Absprache mit der betroffenen Bevölkerung verwirklicht werden dürften. Und: Diejenigen, welche «unten am Fluss» leben, nämlich Syrien und der Irak, gehören ebenfalls zur betroffenen Bevölkerung!

Es ist unbestritten, dass die türkische Regierung nach wie vor mit ihrem Repressionsapparat gegen die Opposition vorgeht. Trotzdem ist diese Opposition auch gegen die Staudämme, mit ihr muss gerechnet werden. So sehr gerechnet werden, dass die Türkei bis zum heutigen Tag noch nicht Mitglied der EU ist. Die Stärke der oppositionellen Kräfte in der Türkei macht das Land für die EU-Bonzen in Brüssel zu einem Unsicherheitsfaktor. Deswegen und nicht nur wegen den Menschenrechtsverletzungen steht die Türkei noch immer außerhalb der EU.

Wer sich also hier empört zeigt über die Zustände in der Türkei, sei es wegen der Gefängnispolitik, sei es wegen den damit zusammenhängenden Menschenrechtsverletzungen oder sei es wegen der türkischen Politik, welche das lebensspendende Wasser zur Waffe macht, muss sich zuallererst über die Regierungen und Konzerne hier, in den USA und in Israel empören. Die sind es nämlich, welche solche Verbrechen überhaupt erst ermöglichen.

*Dieser Artikel wurde in RISALA, Jahrbuch (Nr. 5) (RISALA Jahrbuch zur Theoriebildung, Geschichtsrevision, Eurozentrismuskritik und antiimperialistische Solidarität erscheint im Theorie und Praxis Verlag, Goldbachstrasse 2, 22768 Hamburg) abgedruckt. Für den Archipel wurde der Beitrag aktualisiert.

  1. Quelle: NZZ, 9. August 2001

  2. Siehe dazu «Folter und Mord nach EU-Norm – Stammheim am Bosporus», eine Publikation der BIR-KAR, Politische Gefangene, deren Angehörige und Organisationen beziehen Stellung und analysieren die Lage. Erhältlich über den Vertreib des Theorie und Praxis Verlages, Goldbachstr. 2,

22765, Hamburg.

  1. Siehe dazu:
http://www.unikassel.de/fb5/frieden/regionen/Tuerkei/staudamm.htm und http://www.ilisu.org.uk/
  1. http://www.ilisu-wasserkraftwerk.com/page.php

Unter dieser Web Adresse kann und soll auch gegen die Staudämme protestiert werden.