TRIBÜNE: Des Kapitalismus neue Kleider

de John Jordan *, 28 févr. 2009, publié à Archipel 167

In der Woche, in der die Finanzkrise ausbrach, wurde in der Wall Street ein einzelner Demonstrant gesehen, der ein Transparent vor sich hertrug mit der Aufschrift: «Jump You fuckers! » («Springt, ihr Arschlöcher!»), was sich wohl auf die Banker bezieht, die sich 1929 während der großen Wirtschaftsdepression aus ihren Fenstern stürzten. Vielleicht war diese Aufforderung aber auch an jeden von uns gerichtet.

Wir stehen heute an einer neuen Wegkreuzung der Geschichte. Während alle Blicke auf die Finanzkrise gerichtet sind, spricht kaum jemand über die ökologische Krise. Doch das, was in dieser Hinsicht bereits verloren wurde auf dieser Welt, kann nicht am Zahltag «saniert» werden (das Wasser, die Fauna, der Boden…). Noch weniger wird über die Energiekrise und die Nahrungsmittelpreise geschrieben. Diejenigen, die Strategien entwickeln ohne diese Krisen mit einzubeziehen, ohne das Zusammenspiel dieser Krisen zu begreifen, werden sich früher oder später auf schmerzliche Weise mit der Realität konfrontieren müssen.

Einige jedoch reden von einem «Green New Deal» an. Aber inwieweit unterscheidet sich dieser vom «New Deal», der in den 1930er Jahren von F.D. Roosevelt realisiert wurde? Das Ziel damals war, den Kapitalismus zu retten. Er sollte sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen. Mehr Konsum sollte die Wirtschaft aufkurbeln. Die Wut der Armen, die vom Zusammenbruch des Finanzsystems schwer getroffen waren, wurde ausgenützt: Die radikalen und strukturellen Änderungen, die sich damals bildende Sozialbewegungen forderten, wurden zu einem neuen Staatskonzept, dessen Grundlage die Entwicklung der Sozialhilfe und der Institutionalisierung gewerkschaftlicher Tätigkeit waren, verdreht. Der Kapitalismus wurde wieder zurechtgebogen, ging in den Krieg und überlebte.

Dasselbe System, das unseren ökologischen Selbstmord produziert, indem es Wirtschaftswachstum und Konsum allererste Priorität gibt und dabei die Ökologie, Grundlage einer lebbaren Zukunft und des Lebens an sich, zugrunde richtet, wird bald behaupten, das Leben auf der Erde und gleichzeitig sich selber retten zu können.

Die regierungsunabhängigen Organisationen wie Greenpeace und die New Economics Foundation sind bereits auf den fahrenden Zug aufgesprungen. Bald werden ihnen große Industriellenorganisationen und Regierungen, die sich reinwaschen wollen, folgen. Bereit, sich in grüne Gewänder zu hüllen, um das Vertrauen wieder herzustellen und – nur so nebenbei - auch finanziell von einem neuen Markt zu profitieren. Aber auch grün angemalt fährt dieser Zug direkt in den Abgrund.

Einerseits möchte der «New Green Deal» seine weltfremde Vision eines Wirtschaftswachstums, völlig losgelöst von den realen Grenzen der Biosphäre, behalten, andererseits zögert er nicht, eine «Anti-Carbon-Armee» aus grüne Kragen tragenden ehemaligen Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern zu konstituieren, um ihnen auf diese Weise zu einer «grünen Anstellung» zu verhelfen. «Grüne Jobs», meist schlecht bezahlt, aber mit dem Glorienschein vom angesehenen Label «Schützer des Planeten». Gleichzeitig werden die Unternehmen, welche die Umwelt am meisten verschmutzen, zu zusätzlichen Steuern verpflichtet, angeblich um die Effekte der Klimaveränderung auszugleichen. In meinen Ohren klingt das alles verdächtig nach dem alten Kapitalismus.

In Wirklichkeit brauchen wir eine neue Logik, nicht einen neuen «Deal». Die Abschaffer der Sklaverei des 18. Jahrhunderts haben nie eine Sklavensteuer verlangt; sie wollten das Ende der Sklaverei. So sollten auch wir Erdöl und Erdgas nicht besteuern, sondern nicht mehr fördern. Wir fordern keine neuen Arbeitsstellen, sondern vielmehr eine neuen Definition von Arbeit.

Was wir brauchen, ist eine neue Art zu Denken und andere Wertvorstellungen. Unsere Ernährung, das Zusammenleben, die Gestaltung von Kultur, Demokratie, Politik, unsere Beziehung zur Natur - das alles neu überdenken. Niemandem von uns wird sich noch einmal so eine Gelegenheit bieten.

Überall auf der Welt entwickeln sich jede Menge alternativer Lebens-, Arbeits- und Produktionsformen, dem allgegenwärtigen Kapitalismus zum Trotz. Man hört nicht viel von ihnen, da sie die Weltanschauung, in der die Marktwirtschaft als einzige Rettung und Lösung gesehen wird, grundsätzlich in Frage stellen.

Von den Climate Campers in Großbritannien bis zu den autonomen Gemeinschaften der Zapatisten in Chiapas, über die Bewegung der Übergangsgemeinschaften (die selbstverwalteten Fabriken in Argentinien), das globale Netzwerk der Ökodörfer und die jahrzehntelange Erfahrung von «utopischen» Gemeinschaften in ganz Europa: Es existieren etliche konkrete Beispiele von tiefgehender Demokratie und radikaler Ökologie 2.

Im unsichtbaren Zwischengewebe des herrschenden Systems gibt es Millionen von Menschen, die heute tagtäglich Werte wie Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe in die Tat umsetzen, ohne sich vom Wettkampf und der Konkurrenz der Marktwirtschaft beeindrucken zu lassen. Sie sind die ruhigen Revolutionäre, die der Anarchist Colin Ward so schön als «Saatkörner unter dem Schnee» bezeichnet. Die wirkliche Zukunft gehört ihnen, da sie sie bereits leben. Es ist dringend, ihre Alternativen bekannt zu machen. Wir können viel von ihnen lernen. Wir sollten uns von ihrem Mut anstecken lassen, denn sie haben uns etwas sehr Einfaches gezeigt: Nur wer springt, kann davonfliegen.

* John Jordan und Isa Frémeaux haben sieben Monate lang Europa bereist und 12 «alternative» Projekte besucht (siehe Archipel Nr. 159, 160, 161 und 163) mit dem Ziel einen Film über das «Leben trotz des Kapitalismus» zu realisieren.

  1. Auszug aus einem Artikel von Mike Davis, zu finden auf:

  2. Für mehr Information:

http://www.tomdispatch.com/post/174989/mike_davis_casino_ http://turbulence.org.uk/turbulence-1/a-new-weather-front/

http://www.transitiontowns.org/

http://lanic.utexas.edu/project/Zapatistas/introduction.html

http://www.thenation.com/doc/20070730/klein_lewishttp://gen.ecovillage.org/