Über das World Economic Forum WEF in Davos berichteten wir bereits mehrfach. Über die Arroganz dieses Treffens auch. Über die mehrere Millionen Franken kostenden Einsätze von Tausenden von Polizisten aus dem In- und Ausland und Soldaten, die für ein privates Treffen von der öffentlichen Hand berappt werden, auch. In dieser Ausgabe geben wir das Wort einer der 1082 Personen, die in einer einmalig brutal und groß angelegten Polizeioperation während sieben Stunden draußen in der Kälte in Landquart festgehalten, misshandelt und anschließend registriert wurden.
Es geschah im Gefolge der einzigen bewilligten Kundgebung gegen das WEF, die am Samstag, den 24. Januar in Chur stattfand. An die 2000 Demonstrierende überraschten die Churer Bevölkerung mit einer farbigen und friedlichen Kundgebung, wie sie im Städtle nie gesehen worden war. Nach getanem Protest machten sich die Demonstrierenden auf den Heimweg. Die meisten stiegen in einen Zug, der sie hätte von Chur, über Landquart und Sargans nach Zürich fahren sollen. Doch wurde der geplante Halt in Landquart zu einem in der Schweiz noch nie gesehenen Polizei- und Registriereinsatz. Lesen Sie dazu den folgenden Augenzeugenbericht.
Die von der Polizei verbreitete Information, der Zug sei durch das Ziehen der Notbremse durch Zuginsassen und einer Blockadeaktion derselbigen am Weiterfahren gehindert worden, war irreführend. Denn die Polizei hatte im Voraus mit einem Großaufgebot und einer minutiösen Vorbereitung den nachfolgenden Einsatz vorbereitet 1.
Die statischen Kameras, mit denen alle 1082 Personen einzeln, mit entblößtem Kopf in Porträthaltung festgehalten wurden, waren im Freien installiert. Das in unmittelbarer Nähe des Landquarter Bahnhofs gelegene Coop-Einkaufszentrum und die dazu gehörende Tiefgarage waren zu Verhörzimmern umfunktioniert worden, in denen in der Folge die Personalien und Telefonnummern aller 1082 Personen aufgenommen wurden. Das Bahnhofsgelände war mittels Gitterzäunen hermetisch abgeriegelt worden.
Bei dieser Poilzeiaktion ging es nicht darum, in Landquart Zwischenfälle zu verhindern, dazu hätte der Zug nach dem Halt sogleich weitergeschickt werden müssen. Es ging auch nicht darum, Sachbeschädigungen abzuklären, dazu hätte nicht der ganze Zug – mit Beteiligten und Unbeteiligten – geräumt werden müssen. Es ging auch nicht darum, «Täter» zu identifizieren, denn Bild- und Personalienaufnahme waren getrennt, Namen und Bilder einander also nicht zuzuordnen!
«Es ging offensichtlich einzig darum, Gegnerinnen und Gegner des WEF zu fichieren und sie so von ihrem Widerstand abzuschrecken. Der Einsatz war zu jedem denkbaren erlaubten Zweck unnötig, unangemessen und ungeeignet, und erfolgte schon gar nicht unter Einsatz der mildesten Mittel. Er missachtete so alle rechtsstaatlichen und grundrechtlichen Voraussetzungen für polizeiliches Handeln und die Grundrechte der persönlichen Freiheit, der Versammlungsfreiheit und der freien Meinungsäußerung» 2.
Die einzigen Medien in der Schweiz, die über den «Landquarter Kessel» ernsthaft berichteten, waren der Courrier aus Genf und die Wochenzeitung aus Zürich. Alle anderen Zeitungen begnügten sich damit, AP- und SDA-Depeschen abzudrukken, die direkt von den Polizeimeldungen abgeleitet wurden. Die durchschnittliche Leserschaft konnte nur ein diffuses Bild von pöbelnden Chaoten, verwüsteten Eisenbahnwagen und überforderten Polizisten zurückbehalten.
Eine auch nur annähernde Wiedergabe der Ereignisse fand weder in der Sonntagspresse noch in den Zeitungen vom folgenden Montag, dem 26. Januar statt. Es folgen einige Titel und Auszüge von Artikeln. Die Neue Zürcher Zeitung titelte: «Mit kluger Taktik Eskalation verhindert». Der Tagesanzeiger, ebenfalls aus Zürich, betitelte den Kommentar des Chefredaktors mit «Das WEF, ein Juwel» und im Kioskaushang hing «WEF: Ein Gewinn für alle». Die Neue Luzerner Zeitung widmet besagten Ereignissen in Landquart zwei Sätze: «Vier Personen wurden leicht verletzt und in Spitälern ambulant behandelt, rund 1100 Personen wurden auf dem Bahnhofsareal kontrolliert und anschließend in kleinen Gruppen talwärts geschickt.» Titel und Vorspann vom Bund aus Bern: «Friedliche und gewalttätige Prote-ste; die Anti-Wef-Demonstration in Chur war, abgesehen von Sachbeschädigungen, ein Happening der Linken und Alternativen. Die einzige bewilligte Demonstration gegen das WEF verlief am Samstag in Chur friedlich. Allerdings trübten Sachbeschädigungen das Bild. Militanter verhielten sich die WEF-Gegner in Landquart, wo es im Bahnhof zu schweren Ausschreitungen kam».
Diese krasse Miss- oder Desinformation ist allerdings nicht auf den Mangel an verfügbaren JournalistInnen zurückzuführen, auch nicht in Landquart. Sie waren 500, die vor, während und um das WEF herum beschäftigt waren. So konnte die schweizerische Öffentlichkeit dank aufwendiger Recherchen erfahren, dass Bill Clinton gerne Cola trinkt und Pizza isst. Und dass das WEF als Zeichen der Öffnung 10.000 Dollar der UNO spendet! Es erschienen alleine in der Schweiz über 700 Artikel über das WEF, das Fernsehen sendete 50 Stunden darüber.
Wir haben es mit einem privaten Verein der Reich-sten und Mächtigsten dieser Welt zu tun, der vor allem darauf aus ist, die Profite und das öffentliche Ansehen dieser Menschen und Unternehmungen zu vergrößern. Dass nun die allermeisten - auch die öffentlichrechtlichen - Medien sich dafür hergeben, diesem Klub als unkritisches Sprachrohr zu dienen, ist gefährlich. Ganz offensichtlich gab es in vielen Redaktionen klare Richtlinien, die eine möglichst wohlwollende Berichterstattung über das WEF diktierten.
Deshalb bitten wir alle Leser und Leserinnen, dem schweizerischen Presserat zu schreiben, damit dieser eine Beschwerde in die Wege leite, weil die Presse ihrem Auftrag nach Ausgewogenheit in keiner Weise nachgekommen ist. 3 Wenn Polizeimeldungen zu Depeschen und zur einzigen Informationsquelle für Artikel werden, steht es schlecht um eine pluralistische Meinungsbildung.
Genauere Beschreibungen in den Artikeln von Heiner Busch in der WOZ vom 29. Januar und vom 5. Februar
Auszüge aus der Medienmitteilung vom 2. Februar von Daniele Jenni, Rechtsanwalt und Stadtrat von Bern
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