Endlich darf die Familie Estrada aus Ecuador in der Schweiz bleiben. Die Basler Regierung beschloss am 23. März nach langem Tauziehen, für «eine politische Lösung» zu Gunsten der Familie Hand zu bieten.
Ausschlaggebend für diesen Entscheid war die große Mobilisierung in der Basler Bevölkerung quer durch alle Schichten. Die Regierung betonte dabei, dass es sich auf keinen Fall um einen Präzedenzfall handle, sondern um eine absolute Ausnahme, die allein aus Rücksicht auf die gut integrierten Kinder gewährt wurde.
Das Elend in ihrer Heimat Ecuador hatte die Familienmutter Jaqueline Estrada veranlasst, zum ersten Mal im Jahr 1995 nach Basel zu kommen, um als Putzfrau zu arbeiten. Nur so konnte das Ehepaar das nötige Geld für das Überleben der Kinder in Ecuador aufbringen. Familienvater Julio kam kurz danach in die Schweiz; er arbeitete daraufhin als gefragter Steinmetz bei der Renovierung von Kirchen und Museen. Inzwischen ist er seit acht Jahren in Basel. Die vier Kinder folgten im Jahr 1999 nach und wurden eingeschult bzw. im Kindergarten untergebracht. Inzwischen sind die Kinder seit fast fünf Jahren in Basel. Sie sprechen neben dem Spanischen fließend Basler Dialekt. Die ältesten Schwestern Andrea, 15 Jahre, und Liliana, 14, gehen ins Gymnasium. Die Tochter Cristina, 11, und der kleine Sohn Julio, 9, gehen in die Primarschule. Alle sind sehr gute SchülerInnen und beliebt bei ihren KollegInnen und LehrerInnen.
Der lange Kampf für ein Bleiberecht beginnt
Das einzige Verbrechen der Familie: Sie hatte keine gültige Aufenthaltsbewilligung. Als dies die Fremdenpolizei entdeckte, sollten Estradas die Schweiz bereits im Jahr 2000 verlassen. Der lange Kampf für einen legalen Aufenthaltsstatus begann. Die Behörden weigerten sich beharrlich, die Familie als Härtefall einzustufen. Daraufhin engagierten sich Jaqueline und Julio Estrada zusammen mit ihren vier Kindern in der neu entstandenen Sans-Papiers-Bewegung in Basel. Ab Herbst 2001 beteiligten sie sich mit einer ersten Gruppe von Sans-Papiers am Kirchenasyl in der katholischen St. Antonius Kirche und danach in der protestantischen Oekolampad-Kirchgemeinde. Während ein paar wenige Sans Papiers, nach Einreichen eines Dossiers bei den Behörden, einen legalen Status bekamen, ging die Familie wieder leer aus. Zur selben Zeit verhaftete die Basler Polizei vermehrt papierlose AusländerInnen auf der Strasse und schob sie ab. Der unmittelbare Erfolg der Aktionen, die das«Sans Papiers – Komitee Nordwestschweiz» initiiert hatte, war also eher bescheiden. Doch dank der täglichen Kleinarbeit und der Ausdauer des Komitees war das Thema ständig präsent und aus der Öffentlichkeit nicht mehr zu verbannen. Wurde z.B. die Verhaftung eines Sans Papiers bekannt, organisierte das Komitee sofort eine Demonstration vor der Fremdenpolizei oder vor dem Gefängnis. Inzwischen ist in Basel eine permanente Anlauf- und Beratungsstelle für Sans Papiers entstanden, die einzige in der Deutschschweiz, und von den Behörden stillschweigend toleriert.
Die Familie Estrada gehört zu uns!
Jaqueline und Julio Estrada setzten sich an vorderster Front in der Sans Papiers-Bewegung auch immer für die anderen ein. Sie hatten es noch dazu geschafft, viele Freundschaften im Raum Basel anzuknüpfen. Es war nicht einzusehen, warum die Behörden gerade dieser Familie keinerlei Chancen einräumen wollten. Deshalb gründete eine Handvoll Basler Bürgerinnen und Bürger, in Absprache mit dem Sans-Papiers Komitee, den «Freundeskreis Familie Estrada»* im Juni 2002. Der Freundeskreis verstand es, innerhalb von kurzer Zeit verschiedene Basler Persönlichkeiten aus Erziehung, Politik, Wirtschaft und Kultur für eine erste Petition an die Regierung zu gewinnen. Über 1.200 Petitions-Postkarten forderten das Bleibrecht für Familie Estrada. Doch der Basler Regierungsrat scheute sich, auf das Anliegen einzugehen, und verwies die Entscheidung an das Verwaltungsgericht weiter. Dieses gab der Fremdenpolizei im Februar diesen Jahres Recht: Die Familie müsse das Land verlassen. Das Urteil war vernichtend; alle juristischen Möglichkeiten waren ausgeschöpft.
Daraufhin startete der «Freundeskreis Estrada» eine letzte Petition an das Kantonsparlament und an die Basler Regierung. Inzwischen hatte die Polizei die Ausreisefrist auf den 31.März festgesetzt. Die Kinder hätten nicht einmal das Schuljahr fertig machen können. Dann plötzlich der Durchbruch: Innerhalb von nur vier Wochen kamen über 6.600 Unterschriften zusammen. Alle MitschülerInnen der Kinder, die LehrerInnen, Rektoren, die Medien und Menschen aus den verschiedensten Schichten der Bevölkerung mobilisierten sich. Eine Mahnwache und eine Kundgebung im Innenhof des Rathauses verliehen dem Appell Nachdruck: «Familie Estrada gehört zu uns!» – «Gnade vor Recht – Bildung vor Recht!»
Die Regierung lenkte im letzten Moment ein. Die Estradas hatten bereits ihre Sachen gepackt; doch plötzlich durften sie endgültig bleiben.
Eine Geschichte mit Happy-End? Für das eine Mal: ja. Sie zeigt, dass es möglich ist, die viel geschürte Fremdenfeindlichkeit zu durchbrechen. Und: Durch einen genügend großen Druck «von unten» können den politischen Entscheidungsträgern Zugeständnisse abgerungen werden.
Wermutstropfen
Trotz der unmittelbaren Freude: Eine kollektive Regularisierung von Sans Papiers in der Schweiz ist noch in weiter Ferne – auch wenn inzwischen große Hilfswerke wie die Caritas eine solche fordern. Der derzeitige Ju-stiz- und Polizeiminister der Schweiz, Bundesrat Christoph Blocher, verdankt seinen Posten seiner jahrelangen populistischen und fremdenfeindlichen Hetze. Er wird alles daran setzen, um eine menschliche Lösung für die Sans Papiers auf nationaler Ebene zu verhindern. Es wird noch viele gemeinsame Kämpfe von AusländerInnen und SchweizerInnen brauchen, um die Diskriminierung und die rechtlose Situation der ImmigrantInnen zu beseitigen. Doch ein kleiner Erfolg, wie der in Basel, hilft wieder ein Stück weiter.
Michael Rössler,
Mitarbeiterkreis C. Koch
* Freundeskreis Familie Estrada,
c/o Pfarrer Fritz Schneider
Oekolampadstr. 8, CH-4055 Basel