Mitte Februar dieses Jahres, kurz vor dem zweiten Golfkrieg, lancierte das EBF eine Briefaktion an die Schweizer Außenministerin Micheline Calmy-Rey 1. Einige hundert Bürgerinnen und Bürger wandten sich an Frau Calmy-Rey mit der Aufforderung, sie möge sich dafür einsetzen, dass die Regierung alle Waffenexporte der Schweiz an die kriegsführenden Länder USA und Großbritannien verbietet. Gleichzeitig bedankten sich die Briefschreiber – und schreiberinnen bei der Außenministerin für ihr Engagement für den Frieden.
Am 11. April 03 bekam das EBF einen persönlichen Antwortbrief von Micheline Calmy-Rey. Hier ein Auszug: "Während der Sitzung vom 20.März 2003 (kurz nach dem Angriff gegen den Irak, Anm. der Red.) hat der Bundesrat die Ausfuhr von Kriegsmaterial an Staaten verboten, die durch die Entsendung von Truppen oder Material am Konflikt teilnehmen. Die Waffenexporte von Kriegsmaterial durch das Rüstungsunternehmen RUAG, Eigentum des Bundes, und durch Unternehmen, bei denen die Beteiligung der RUAG 50 Prozent übersteigt, werden nur unter der Bedingung toleriert, dass sie nicht für militärische Operationen verwendet werden und dass sie nicht den ‚normalen Geschäftsgang 2‘ übersteigen. Die Lieferungen von privaten Schweizer Betrieben unterliegen denselben Bedingungen." Micheline Calmy-Rey vertritt hier die offizielle Position des Gesamtbundesrates. Es war jedoch kein Geheimnis, dass es im Bundesrat in dieser Frage zu harten Kontroversen kam, wobei die weitergehende Position der Außenministerin für ein strikteres Waffenausfuhrverbot der bürgerlichen Mehrheit im Bundesrat unterlag.
Das Märchen von Offensiv- und Defensivwaffen
Die Schweizer Regierung hatte einen halbherzigen Entscheid getroffen, der z.B. die enge Rüstungszusammenarbeit mit den USA zu keinem Zeitpunkt in Frage stellte. Die Grenze zwischen Waffen, die direkt für militärische Aktionen gebraucht werden, und denen, die angeblich nur zu Trainings- oder Defensivzwecken vorgesehen sind, ist fließend, wie es verschiedene Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit zeigen: So verkaufte die Schweiz letztes Jahr 32 Kampfflugzeuge F-5 Tiger II an die USA – zu einem Zeitpunkt, als die Vereinigten Staaten fast tägliche Bombardierungen in denen von ihnen einseitig erklärten Flugverbotszonen im Irak durchführten. "Die Flugzeuge aus der Schweiz dienen zum Training der Piloten der Top Gun, der amerikanischen Marine-Eliteschule", lautet die Aussage eines Spezialisten. Das bekannteste Beispiel ist der Export der Pilatusflugzeuge, die in Stans im Kanton Nidwalden produziert werden. Sie gelten als Zivilmaschinen, können aber im Zielland mit einem "Handgriff" zu kleinen Bombern umgerüstet werden. Diese Flugzeuge bombardierten die indigene Bevölkerung in Guatemala, Mexiko und Burma mit Giftgas. Saddam Hussein setzte sie auch gegen die Kurden ein.
Als sich vor Ostern dieses Jahres zeigte, dass die USA und Großbritannien den Irak "besiegt" und besetzt hatten, hob der Bundesrat sogleich das Waffenexportverbot in diese Staaten wieder auf. Die wirtschaftlichen Erwägungen rangieren eben vor den humanitären Überlegungen. Seitdem gilt wieder der "normale Geschäftsgang".
Der Staat als Waffenhändler
Wie sieht dieser normale Gang der Dinge aus? Laut Statistik des Staatssekretariats für Wirtschaft (seco) 3 verkaufte die Schweiz im Jahr 2002 Kriegsmaterial im Wert von 30.813.511 Franken in die USA und für 18.196.961 Franken an Großbritannien. Die gesamte Waffenausfuhr beläuft sich auf 277,6 Millionen Franken im letzten Jahr, ein Rekord für die letzten 10 Jahre. Die hauptsächlichen Partner der Schweiz sind Deutschland, Österreich, die angelsächsischen Länder und Israel. Der Export beinhaltet automatische Waffen, Bomben, Personen-Minen und Kampfflugzeuge. Insbesondere mit Israel pflegt die Schweiz ein delikates Verhältnis. Bruno Frangi, Informationschef der RUAG, des Rüstungsunternehmens, das sich zu 100 Prozent im Besitz des Staates befindet, schreibt auf Anfrage: "(...)Mit dem Rüstungsprogramm 1999 haben Bundesrat und Parlament beschlossen, dass für die Schweizer Armee 12cm und 15cm Cargomunition beschafft wird. Lieferant ist eine israelische Firma. Eine Tochtergesellschaft der RUAG ist als Unterlieferantin an diesem Geschäft für unsere Armee beteiligt. Unsere Tochtergesellschaft kann diese Munition in Europa vermarkten. Nordische Länder haben Interesse gezeigt. Bis heute kam es jedoch zu keinem Exportauftrag. Die "Schweizer-Version" der Cargo-Munition ist mit einem Mechanismus versehen, der dafür sorgt, dass allfällige Bomblets, die bei Einsatz nicht sofort detonieren, dann selbständig vernichtet werden und so praktisch keine Blindgänger entstehen. (...)"
Hier klingt der Stolz über ein neues Wunderwerk der Schweizer Feinmechanik mit, das sogar noch als eine humanitäre Version dargestellt wird. Was Bruno Frangi von der RUAG nicht sagt: Bei dieser so genannten "Cargo Munition" handelt es sich um eine international geächtete Waffe. Bei ihrer Detonation entlädt die Bombe Hunderte kleinerer Bomben, die unkontrolliert und ungezielt explodieren. Eine typische Angriffswaffe, dazu geeignet, die Zivilbevölkerung zu terrorisieren und zu töten. Diese Waffe haben die NATO und die USA im Kosovo, in Afghanistan und im Irak eingesetzt und sie hat in diesen Ländern Tausende von zivilen Opfern verursacht.
Die Schweiz ist immer noch weltweit bekannt als Land mit einer humanitären und friedlichen Tradition. Die Helvetia hält die weiße Fahne in der Hand, doch unter ihrem Kleid versteckt sie Bomben und Granaten. Zuerst das Geschäft, dann die Moral.
Zur Zeit läuft eine Protestbrief-Aktion an die RUAG und an den Bundesrat mit der Forderung, die Produktion und den Vertrieb von Cargo-Munition sofort einzustellen.
Musterbrief und weitere Informationen bei: Markus Heizmann, Mattweg 23, 4144 Arlesheim, E-mail: mheizmann@datacomm.ch
Quellen:
www.seco-admin.ch
Le Courrier, Genève, 15.2. 03
Markus Heizmann, Arlesheim
siehe Archipel Nr. 103 und www.forumcivique.org
aus dem Franz.: "courant normal"
seco: Amtsstelle für die Erteilung von u.a. Kriegsmaterialexportbewilligungen