Die Atmosphäre, die das 3. WSF umgab, war außergewöhnlich. Drei Wochen vorher hatte der ehemalige Metallarbeiter Luis Inacio Lula da Silva seine Funktionen als Präsident der Republik Brasilien übernommen. Tausende Basisbewegungen, von denen viele am WSF vertreten waren, hatten ihn an die Macht gebracht. Trotz der sommerlichen Hitze wehte ein frischer Wind über Porto Alegre.
Doch das 3. WSF mit seinen 100.000 Teilnehmern verdient auch einen kritischen Blick.
Sergio Ferrari, ein argentinischer Journalist, der in der Schweiz lebt und für den Courrier de Genève schreibt, hat an den drei Sozialforen teilgenommen:
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"Das erste Forum war geprägt von einer Aufbruchstimmung und von einem hohen Niveau der Debatten und Konferenzen. Hier wurde ein vielversprechender Prozess in Gang gebracht. Mit 15.000 Teilnehmern war es relativ ‚klein‘, verglichen mit dem jetzigen.
Das Hauptproblem des 2. WSF war die Beziehung zwischen politischen Parteien und Sozialbewegungen. Es konnte weitgehend gelöst werden. Vor allem die brasilianische Arbeiterpartei (PT) hat begriffen, dass es sich um einen Aufruf der Zivilgesellschaft der ganzen Welt handelte.
Jetzt beim 3. WSF ist die Teilnehmerzahl explodiert, doch das bringt auch den Widerspruch zwischen Quantität und Qualität mit sich. Es ist nicht leicht, sich als Teilnehmer oder Journalist zurechtzufinden bei den 1700 Workshops, Konferenzen und Debatten, die in viereinhalb Tagen angeboten werden."
- Einige Zahlen
Es nahmen 20.763 Delegierte von 5717 Organisationen aus 156 Ländern teil, 4094 Journalisten aus 51 Ländern berichteten. 659 Freiwillige halfen bei der Organisation des Ganzen. Im Zeltlager wurden 25.000 Jugendliche untergebracht, von denen 19.000 als Vertreter von ca. 700 Gruppen am Forum eingeschrieben waren. 1500 Einwohner von Porto Alegre haben Teilnehmer bei sich beherbergt.
Die Konferenzen, Debatten und Workshops fanden an drei verschiedenen Orten statt: an der Katholischen Universität des Bundesstaates Rio Grande do Sul, in den ehemaligen Docks des Hafens und im Fussballstadion. Es war merkwürdig zu sehen, wie über 30.000 Menschen in ein Stadion strömten, um Konferenzen des uruguayanischen Schriftstellers Eduardo Galeano zu hören, oder des amerikanischen Sprachwissenschaftlers Noam Chomsky, des brasilianischen Theologen Leonardo Boff oder der indischen Autorin Arundhati Roy...
Die Dimensionen des Forums, die große Vielfalt, die gleichzeitig seinen Reichtum ausmachen, stellen jedoch eine grundsätzliche Frage: Welche Art von Treffen für welches Publikum?
Sergio Ferrari: "Es geht um die Wahl zwischen einem großen Antiglobalisierungs-Volksfest oder einem Raum für Überlegungen und Kreation. Beides ist wichtig, aber wenn man etwas verändern und Alternativen finden will, braucht es Theorie, Analyse und Reflexion. Wenn man feiert, denkt man aber gewöhnlich nicht viel nach... (...) Es gibt einige Punkte, über die sich alle einig sind: gegen die neoliberale Globalisierung, für horizontale Strukturen, die Suche nach Alternativen. Wenn man dabei vorwärtskommen will, muss man aber Schritte machen. Mit 20.000 Delegierten aus 130 Ländern ist es äußerst schwierig, Synthesen zu finden oder kurzfristig die außerordentlichen Experimente und Erfahrungen aus der ganzen Welt sowie ihre Pädagogie zusammenzufassen."
Auch wenn man die Kosten des Forums genauer betrachtet, wird einem der Graben bewusst zwischen der Organisation eines solchen Megatreffens und den finanziellen Mitteln, die es dafür braucht: Die Beiträge der Teilnehmer stellen den größten Posten des Budgets dar, unter den Sponsoren findet man die Stadt Porto Alegre, den Staat Rio Grande do Sul und andere große NGOs. Zweifelhaft wird es, wenn auf dem Programm des Forums das Symbol der brasilianischen Erdölgesellschaft Petrobras auftaucht, die von den am Forum anwesenden Indios aus Bolivien bekämpft wird, oder die Ford-Stiftung, die damals die argentinische Diktatur unterstützt hat.
"No Vox"
Ein anderes Problem sind die "Ausgegrenzten". Die Vertreter von "No Vox", einem Netzwerk verschiedenster Vereinigungen von Obdachlosen, Landlosen, Papierlosen usw., schrieb in einem Aufruf im Mai 2002: "... denn ohne die Organisationen der Mittellosen würden diese Foren über die eine Hälfte des Planeten hinweggehen, die in Armut leben und keinen Zugang zu Menschenrechten oder Sozialleistungen haben. Wir fordern, dass das 3. WSF und die kontinentalen Foren die Bewegungen im Kampf gegen die Armut, die überall auf dem Planeten auftauchen, einbeziehen, ihnen zu einer größeren Sichtbarkeit verhelfen und sie in den Mittelpunkt des Treffens stellen, um dieser Initiative neuen Schwung zu verschaffen."
Die brasilianische Bewegung der Obdachlosen besetzte während der Dauer des Forums ein Terrain gegenüber dem Rathaus von Porto Alegre, um dagegen zu protestieren, dass die Einschreibgebühren und die Unterbringungskosten für sie viel zu hoch sind und dass dies eine Beteiligung dieser Bewegungen an den Debatten des Forums verhindere.
Angesichts der geringen Beteiligung von Gruppen aus Asien und Afrika und der massiven lateinamerikanischen Präsenz haben die Organisatoren des Forums beschlossen, das nächste Treffen in Indien zu organisieren. Im Jahr 2005 soll das WSF wieder in Porto Alegre stattfinden.
Trotz aller Kritik ist es klar, dass diese Treffen eine einmalige Gelegenheit sind, Menschen aus der ganzen Welt zu treffen, die ungefähr am gleichen Strang ziehen. Als Europäer hat man nicht mehr den Eindruck, aus dem Wohlstand zu kommen, um Menschen zu helfen, denen es schlecht geht. Die Wahl Lulas, aber auch die Ereignisse in verschiedenen anderen lateinamerikanischen Ländern (siehe Artikel von Cédric Bertaud) sind unter anderem Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins und einer kämpferischen Stimmung in Lateinamerika, die in Porto Alegre deutlich zu spüren waren.
Die Frage, die sich jetzt stellt, ist, ob es den Sozialbewegungen gelingen wird, die Welle von Optimismus, die den Kontinent überschwemmt, auszunutzen, um ihre Arbeit an der Basis auszudehnen. Denn trotz allen guten Willens bleibt der Spielraum der Regierungen begrenzt.
...and Uncle Sam ist watching them.