Erst Ende Mai ist der 30jährige Wojciech Olejniczak zum neuen Chef des Polen (noch) regierenden SLD-Bündnisses der Demokratischen Linken gewählt worden. Anderthalb Monate bleiben ihm, um bei den anstehenden Sejm-Wahlen das Blatt noch zu wenden.
Mit 41 Prozent hatte die polnische Sozialdemokratie vor vier Jahren triumphal gewonnen - nun liegt sie in Umfragen bei gerade einmal acht Prozent, könnte aber auch an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Die Kür des früheren Agrarministers Olejniczak zum neuen Parteichef bezeugt den Wunsch einer Mehrheit in der SLD nach der radikalen Wende kurz vor dem Abgrund. Eine verschlissene, durch unzählige Bereicherungsskandale unpopuläre Garde 50- und 60jähriger Politiker soll noch rechtzeitig vor dem Urnengang durch junges, nicht kompromittiertes Personal abgelöst werden. Nur ist Olejniczak der typische Verlegenheitskandidat. Als Minister überzeugte er wohl als geschickter Organisator - politisches Profil aber gewann er nicht.
Im Richtungsstreit zwischen jenen in der SLD, die Wählergunst durch einen abrupten Schwenk nach links zurückerobern wollen, und denen, die zu einer Partei der Mitte keine Alternative sehen, bleibt Olejniczak nicht viel mehr als die Rolle eines Parlamentärs zwischen den Fronten. „Der Parteivorstand wird eine Linie beschließen und an die werde ich mich halten“, lautete sein Credo als Minister. Jetzt, da er selbst die Linie vorgeben soll, wirkt er überfordert.
Klar scheint immerhin, dass Olejniczak entgegen den Wünschen vieler Basisfunktionäre, keine Ambitionen hegt, sich durch betont antiklerikale Positionen Kontur zu verschaffen. Das Verlangen nach einer Liberalisierung des äußerst restriktiven polnischen Abtreibungsgesetzes unterstützt der bekennende Katholik Olejniczak zwar, doch nicht unbedingt vollmundig. In der für viele SLD-Funktionäre gleichfalls wichtigen Frage einer Besteuerung des Kirchenvermögens schweigt er beredt. Auch die immer häufiger artikulierte Sorge, dass Polen nach einem Kantersieg der Rechten im September zu einem - wie es die Philosophin Barbara Stanosz ausdrückt - „katholischen Gottesstaat“ werden könnte, teilt der neue Parteichef nicht. Für seine Stellvertreterin Joanna Senszyn, die in strenger Opposition zu Olejniczak steht, sei der Vorsitzende letzten Endes darauf fixiert, „die Linkspartei SLD in eine tolerant katholische Gruppierung umzuwandeln“.
Nicht nur mit Senszyn, auch mit anderen in der Parteispitze hat Olejniczak ideologische Differenzen auszutragen. Vorzugsweise den so genannten „roten Baronen“, den mächtigen SLD-Regionalchefs, die sich auf die Parteibasis berufen, ist der politisch eher ambivalente SLD-Vorsitzende ein Dorn im Auge und viel zu moderat. „Man wechselt die Generäle nicht mitten in einer Schlacht“, kritisiert Krzysztof Martens, der Vorsitzende der südostpolnischen SLD-Region Rzeszow, den Wechsel an der Parteispitze.
In der Tat dürfte Wojciech Olejniczak kaum prädestiniert sein, das SLD-Bündnis für neue Wählerschichten zu öffnen. Weder soziale Bewegungen wie die Globalisierungsgegner noch das liberale städtische Bürgertum können mit dem Mann viel anfangen. Das mag daran liegen, dass Olejniczak - nicht zu Unrecht - der Ruf eines Technokraten nachhängt. Als Agrarminister hat er den für Polens Bauern extrem schwierigen EU-Beitritt - so gut es unter den gegebenen Bedingungen eben ging - zu verwalten versucht, doch tat er sich dabei weder als Visionär, noch als Charismatiker hervor.
Polens letzter kommunistischer Premier Mieczyslaw Rakowski warnt die SLD bereits davor, sich weiter in Fraktionskämpfe zu verschleißen: „Wir sollten dringend damit aufhören, darüber zu streiten, wer weiter und wer weniger weit links ist, das bringt uns angesichts der großen Bedrohung von rechts nicht weiter.“ Zumindest darin, dass die Bedrohung groß ist, hat Rakowski Recht. Polens Rechte fühlt sich vor den Herbstwahlen, bei denen zuerst das Parlament und wenige Wochen später auch der Präsident gewählt wird, siegessicher. Das Rennen um die Mehrheit im Sejm dürfte sie wohl machen - in Meinungsumfragen kommen die Rechtsparteien auf rund zwei Drittel der Stimmen. Seit allerdings Ex-Außenminister Wlodzimierz Cimoszewicz - von der SLD gedrängt - doch zugestimmt hat, um die Präsidentschaft zu kämpfen, ist zumindest der Ausgang dieses Votums wieder offen. Bei 29 Prozent liegt derzeit Cimoszewicz, bei 18 Prozent der Law-and-Order Mann und Bürgermeister von Warschau, Lech Kaczynski.
Auch wenn es in Polen als Gegengewicht zur rechten Parlamentsmehrheit einen linken Präsidenten geben sollte, bleibt klar, woher im Augenblick der Wind weht: Die Brüder Kaczynski und ihre Recht-und-Gerechtigkeits-Partei (PiS) treiben mit ihren immer abstruseren Ideen den Rest des rechten Spektrums vor sich her und sprechen bereits ungeniert von einer „vierten Polnischen Republik“, in der es für „Kommunisten“ keinen Platz mehr geben soll. Wie man sich diese Republik im Detail vorzustellen hat, offenbart Bürgermeister Lech Kaczynski immer wieder: Nachdem er im Juni die schwul-lesbische Straßenparade zum „Tag der Gleichheit“ verboten hatte, ließ er nun mit der Idee aufhorchen, Warschauer Obdachlose in Container-Slums am Stadtrand auszusiedeln, damit sie das Stadtbild nicht länger stören.
Piotr Dobrowolski
Dieser Artikel erschien im Freitag , 32, 2005.