Im Dezember letzten Jahres nahm ich an einer Reise nach Italien teil. Es sollten Kontakte zwischen Bauern geknüpft und Erfahrungen über Saatgut und Biodiversität ausgetauscht werden. Die Organisatoren davon waren zwei Vereine, BEDE (Bibliothèque d’Echange de Documentations et d’Expériences /Bibliothek für Dokumentations- und Erfahrungsaustausch) und RSP (Reseau Semence Paysanne /Netzwerk für bäuerliches Saatgut). Das Ziel ist, eine glaubwürdige Alternative zur dramatischen Verarmung der Kulturpflanzenvielfalt zu schaffen.
Die Angriffe der multinationalen Saatgutkonzerne auf die Biodiversität sind zahlreich und bedienen sich einer für sie maßgeschneiderten Reglementierung. Wir haben schon oft darüber im Archipel berichtet.
Kleine Rundschau
Die heutigen Agrarsysteme sind auf das Extremste vereinfacht. Die Monokulturen führen zu einer unumkehrbaren genetischen Erosion und schaffen die Grundlage für zukünftige Hungersnöte. Die Nahrungsmittelversorgung der ganzen Welt hängt von etwa 20 Pflanzenarten ab, die 95 Prozent der pflanzlichen Nahrungsmittelkalorien liefern. Gleichzeitig sind tausende von Arten im Begriff zu verschwinden, obwohl sie seit Jahrtausenden existieren und der menschlichen Ernährung dienen.
Die Monokulturen von Mais, Soja, Raps und Baumwolle liefern vorrangig das Tierfutter für die reichen Länder. Entweder werden sie direkt verfüttert oder in Form eines Nebenprodukts, dem so genannten Ölkuchen, der meist sehr protein- oder fettreich ist. Um ein tierisches Protein zu erhalten, sind 10 pflanzliche Proteine nötig. In Indien herrscht eine vegetarische Esskultur vor, und man kann sich fragen, ob dies nicht zukunftsweisend sein könnte für eine andere Landwirtschaft, der es möglich ist die ganze Menschheit zu ernähren. In China wurden in den 1950er Jahren 10.000 Reissorten angebaut, die jede ihre eigene Qualität besaß.
Momentan liefern drei Getreidegattungen – Reis, Mais und Weizen – 60 Prozent der weltweiten Nahrungsmittelenergie. Das Fleisch wird von fünf Tiergruppen produziert: Rind, Schaf, Ziege, Schwein und Geflügel.
Die weltweit angebauten Mais- und Weizensorten der industriellen Landwirtschaft lassen sich an den Fingern beider Hände abzählen. Jedes Jahr kommen neue Sorten auf den Markt und 80 Prozent von diesen eingetragenen Sorten haben eine Lebensdauer von kaum 10 Jahren.
Die genetische Basis der modernen Sorten ist äußerst beschränkt. Im Tempo eines schwindelerregenden Walzers verdrängt eine Sorte die nächste und die eine ist selbst der Klon der vorhergegangenen. Der Unterschied liegt im Allgemeinen bei einem ganz kleinen Ertragszuwachs.
Fünf multinationale Konzerne (Dupont, Syngenta, Monsanto, Bayer, Limagrain) kontrollieren zu 80 Prozent die Produktion des Gemüse- und Getreidesaatguts für den industriellen Landbau. Das bedeutet saftige Märkte, besonders wenn es sich um Getreideanbau auf immensen Flächen handelt. Trotzdem gibt es eine positive Note: 70 Prozent des Saatgutes auf der Welt entgeht noch den Konzernen. Dabei handelt es sich um die Samen, welche die Bauern aus ihrer Ernte wiedergewinnen.
Gentechnisch veränderte Organismen
Weltweit werden heute auf 100 Millionen Hektaren GVOs (Gentechnisch veränderte Organismen) angebaut. Frankreich erscheint lächerlich im Vergleich mit seinen 27 Millionen Hektaren landwirtschaftlicher Nutzfläche, von denen 3.000 oder 4.000 Hektaren GVO-Kulturen sind.
In den Vereinigten Staaten sind Mais, Soja und Raps fast gänzlich «round-up ready » (resistent gegen das gleichnamige Herbizid) oder produzieren selbst ein Insektizid, den Bacillus Thurengensis (z.B. der BT-Mais). Auf immensen Flächen werden heute GVOs in Argentinien, Brasilien, Kanada und den USA angebaut. Nur den gentechnisch veränderten Weizen wollen die amerikanischen Farmer nicht anbauen, weil sie befürchten, ihn nicht mehr exportieren zu können. Auf dem europäischen Kontinent ist Weizen ein Grundnahrungsmittel und der Weizenproduktion kommt eine besondere Bedeutung zu. Das Risiko, dass jetzt auch hier gentechnisch veränderter Weizen eindringt, ist groß.
Die Gentechnik, die man uns aufzwingen will, wird Probleme von Hunger, Unterernährung oder Krankheiten keineswegs lösen. Außerdem weiß man jetzt, dass die meisten heutigen Pflanzen- und Tierkrankheiten durch intensive Verwendung chemischer Mittel und durch industrielle Tierzucht hervorgerufen wurden. Mit anderen Krankheiten die laut Pr. Dominique Belpomme «vom Menschen geschaffen wurden», verhält es sich ähnlich.
Verseuchte Genbanken
In der Schweiz und in Deutschland wird gentechnisch veränderter Weizen auf Testparzellen in unmittelbarer Nähe von Genbanken oder von landwirtschaftlichen Hochschulen angebaut. Die Eidgenössische Polytechnische Fachhochschule Zürich hat Versuchsfelder mit Gen-Weizen, der gegen Mehltau resistent ist. Dabei ist sehr wohl bekannt, dass sich Mehltaubefall bei Weizen proportional zu der verteilten Stickstoffmenge entwickelt. Die Landwirtschaft ist von chemischen Drogen abhängig und krank.Im nordostdeutschen Gatersleben steht eine staatliche Genbank vor der Privatisierung. Die dort laufenden Versuche mit herbizidresistentem Weizen drohen, alle ihre Sammlungen genetisch zu verseuchen. Dabei ist keineswegs unbekannt, dass in den mexikanischen Genbanken alle Maiskollektionen durch gentechnisch verändertes Material kontaminiert sind1. Dieses Jahr experimentieren Monsanto, BASF und Limagrain in Australien mit Weizen, der genetisch verändertet wurde, um der Trockenheit zu widerstehen.
In Frankreich wurden 700 Hafersorten verbrannt, die bisher beim INRA (Institut National de la Recherche Agronomique /staatliches Institut für Agrarforschung) eingelagert waren. Weil das Konservieren teuer ist und die Hafer fressenden Arbeitspferde verschwunden sind, geht genetische Erbgutmasse in Rauch auf. Aber wer weiß, ob wir hier nicht eines Tages wieder auf die tierische Zugkraft zurückgreifen müssen?
Das war ein kurzer Einblick in den Bereich der Pflanzen. Im Tierzuchtbereich sieht die Situation ebenso katastrophal aus. Die Konsequenz davon ist, dass sich Epidemien, Krankheiten und Immunschwächen schrankenlos ausweiten.
Ein historischer Rückblick
Seit 1989 verbietet eine französische Vorschrift, eigenes Saatgut zu benutzen. Das Verbot gilt auch für das Getreidesortieren in Lohnarbeit. Die Gewerkschaft der Getreidesortierer schloss sich daraufhin mit den Biobauern und drei kleinen Bauerngewerkschaften zusammen, um das Recht auf eigene Saatgutgewinnung zu verteidigen. Denn dies bedeutet weniger Ausgaben und mehr Autonomie. Nur durch den energischen Widerstand dieser Bauern konnte bisher die Durchsetzung dieser Vorschrift verhindert werden. Die Behörden mussten den Bauern ein so genanntes Bauernprivileg zugestehen, das ihnen erlaubt, ihr eigenes Saatgut wieder auszusäen. Die europaweite Dimension des Problems war 1999 die Anregung zu einem europäischen Seminar. Das Thema lautete: «Wie sieht die Zukunft für die bäuerliche Saatgutgewinnung aus?» Ende 2002 zwang eine europäische Vorschrift die «Bios», nur nachgewiesene Handelssorten oder in den Sortenkatalog eingetragenes Saatgut zu verwenden. Das Fass ist nun zum Überlaufen voll und so entsteht während der Treffen von Auzeville im Jahr 2003 zum Thema «Kultivieren wir die Artenvielfalt auf den Höfen» das Netzwerk RSP. Es umfasst etwa 50 Vereine, Gewerkschaften und andere Organisationen. Unter ihnen sind die Confédération Paysanne , der französische Verband für biologische Landwirtschaft, Nature et Progrès (die Biopioniere) und die Vereinigung für biodynamischen Landbau. Im Jahr 2005 wurde eine weitere Tagung organisiert, diesmal mit dem Thema «Was steht in Europa für die bäuerlichen Rechte und das Saatgut auf dem Spiel». Die Reisen, an denen wir teilnahmen, sollten Kontakte zwischen europäischen Kleinbauern herstellen. Es sind Reisen zum Entdecken eines Landes, seiner Geschichte, der noch verwurzelten bäuerlichen Praktiken, aber auch um Erfahrungen und ebenso um Saatgut auszutauschen: eine richtige Samenbörse.
Rundfahrt durch Italien
Italien ist vor allem ein bergiges Land, das von den Apenninen durchquert wird. Etwa zwei Millionen Bauern bewirtschaften
15 Millionen Hektar landwirtschaftliche Nutzflächen. Die Höfe umfassen durchschnittlich sechs bis sieben Hektar. Nach Polen und Rumänien ist Italien das europäische Land mit den meisten Bauern. Viele haben ein zusätzliches Einkommen durch Agrotourismus oder andere Arbeiten, was ihnen das Bleiben ermöglicht (in Frankreich gibt es nur noch 600.000 Bauern auf 27 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche mit einer durchschnittlichen Hofgröße von 45 Hektar). Vom Piemont bis nach Ligurien haben wir einen großen Artenreichtum gesehen. Angefangen beim Mais, über Bohnen, Kichererbsen, Kartoffeln, Knoblauch, Zwiebeln, Tomaten, Früchte, Geflügel, Kühe, Pferde: Ich könnte die Liste noch fortsetzen. Auf Terrassen, die denen der französischen Cevennen sehr ähnlich sind, entdeckten wir schöne kleine Kühe der Alpenrasse «Cabaninna», die Eicheln und Kastanien fressen. Es gibt nur noch 200 Exemplare dieser Rasse. In einer hydraulischen Mühle aus dem XII. Jahrhundert sahen wir drei Mühlsteine mit einem Durchmesser von 1,2 bis 1,5 Meter. Ein Mühlstein mahlt Mais und Kichererbsen, einer Kastanien und der dritte Weizen. Jeden Tag können 1 bis 1,5 Tonnen gemahlen werden, das bedeutet 300 bis 500 Tonnen pro Jahr.
In dieser Gegend, wie auch im Latium, der Gegend um Rom herum, sind die kollektiven bäuerlichen Nutzungsrechte von Gemeindeland noch stark verankert. Auch das gewohnheitsmäßige Nutzungsrecht ist zweifellos noch anerkannt, weil es noch Bauern gibt. In der Region der Abruzzen bis hinauf nach Ligurien haben hingegen viele Bauern die Viehzucht aufgegeben, da es spürbar mehr Wölfe gibt. Im Latium besuchten wir eine Communita Montana , eine lokale Verwaltungsstruktur für die Berggebiete. Dieser ist es gelungen, mehrere einheimische Bohnensorten zu erhalten. Viel schwieriger gestaltet es sich, diesen Sorten wieder eine lokalwirtschaftliche Bedeutung zu geben. Aus dem einfachen Grund, daß es keine Bauern mehr gibt, denn alle arbeiten in Rom. Die Bauern sind eben auch eine aussterbende Art, dabei sind sie die einzigen Garanten für eine lebendige Artenvielfalt. In den Abruzzen fanden wir eine kleine Linse und den hübschen Bergweizen «Solina». Jedes Mal begegneten wir Menschen, die mit viel Intelligenz diese alten Sorten ausfindig machten, sie wiederbelebt und weitergezüchtet haben.
In der Toskana
Die herrliche Landschaft rund um Florenz verlockte fast zum Malen. Weinberge, Olivenhaine und Weizenfelder wechseln sich wohl angeordnet mit kleineren Bohnen- und Kichererbsenkulturen ab. Die 6-7 Hektar großen Höfe machen aus der Hügellandschaft einen Garten. Auch ein wenig Hartweizen der Sorte «Senator Capelli» gibt es, der in den 1930er Jahren von dem Agronomen Nazareno Strampelli auf Verlangen von Mussolini entwickelt wurde, um Italien mit Getreide selbstversorgen zu können. Das schön gelbfarbene Mehl wird in einem kleinen Betrieb zu Teigwaren verarbeitet. In der Toskana entstand in den 1970er Jahren, auf Initiative von Reformkommunisten, Slow Food als Antwort auf das Fast Food . Dem Konsumenten sollte bewusst gemacht werden, dass lokale bäuerliche Qualitätsproduktionen existieren. Heute kritisieren die Bauern die Bewegung stark, da sie die Kontrolle über den Werdegang ihrer Produkte verloren haben2. Die Geschäftemacherei ist immer offenkundiger und Slow Food wird zu einer internationalen Bewegung des guten Geschmacks und kümmert sich recht wenig, welche Auswirkungen ihre Kommunikationsstrategien auf die Zukunft der Bauern haben. Viele der betroffenen Bauern sind aus Kostengründen wenig daran interessiert, ihre Produktionen mit Herkunftsbezeichnung, biologischen Qualitätszeichen oder Ähnlichem auszuweisen. Sie ziehen es vor, gemeinsame Kriterien mit einem treuen Kundenkreis aus der Umgebung zu erarbeiten. Die menschlich überschaubare Dimension garantiert, dass diese eingehalten werden. Ein Zusammenschluss von Bauern verteilt Kartoffel-, Bohnen- und Weizensaatgut im lokalen Rahmen. Ihren Kunden vom Küstengebiet erklären sie, dass jedes Kilo Kartoffeln, das sie aus den Bergen kaufen, bedeutet, dass ein Quadratmeter weniger Ackerland ins Meer geschwemmt wird. Sie denken, dass die Biopiraterie ihnen nicht viel anhaben kann. Ihre lokalen Sorten sind seit Jahrhunderten in Büchern beschrieben und noch sehr im kollektiven Gedächtnis verwurzelt.
Internationale Abkommen und Bauernrechte
In Rom bewunderten wir die Sixtinische Kapelle und besuchten auch die FAO (Organisation der Vereinigten Nationen für Ernährungsfragen) und das IPGRI (internationales Institut der phytogenetischen Ressourcen), eine riesige Pflanzenweltbank.
Ein internationales Megaabkommen bezüglich der phytogenetischen Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft (TIRPAA) wurde 2001 abgeschlossen und trat 2004 in Kraft. Es behandelt den Erhalt der Ressourcen, den Zugang zu Genbanken und gewisse Rechte der Bauern. Wir hatten ihnen einige Fragen zu stellen, denn überall in der Welt werden die Rechte der Bauern zu wenig respektiert. Es müsste schon damit beginnen, die Bauern an den Diskussionen und Entscheidungen, die ihre eigene Tätigkeit betrifft, teilhaben zu lassen. Stellenweise ist das oben erwähnte Abkommen für die Bauern sehr vorteilhaft, es unterliegt jedoch den einzelnen Staaten, es im Gesetz zu verankern. So entstanden sehr unterschiedliche Situationen, die oft zu einem großen Entgegenkommen gegenüber den Saatgut-Multis geführt haben.
In Spanien ist der Anbau von gentechnisch verändertem Saatgut weit verbreitet. Der Zugang zu Genbanken ist für Bauern, die mit alten Sorten arbeiten möchten, sehr schwierig. In Frankreich ist es ebenso schwierig, außer man hat Beziehungen. Die Saatguthersteller betreiben hier eine sehr effiziente Lobbyarbeit (Limagrain ist erstgrößter europäischer und drittgrößter Produzent auf dem Weltmarkt). In Italien haben die regionalen Entscheidungsinstanzen eine sehr unterschiedliche Landwirtschaftspolitik und sind den Bauern gegenüber oft aufgeschlossen, wenn diese sich einmischen.
Überall in Europa wird das in dem internationalen Abkommen verbriefte Recht der Bauern, ihr Saatgut zu erhalten, zu benutzen, zu tauschen und zu verkaufen, in Frage gestellt. Die juristische Offensive gegen den Verein Kokopelli3 und gegen die Hersteller von Pflanzenpräparaten ist vielmehr eine Offensive der multinationalen Saatguthersteller gegen die Bauern, um ihre Monopolstellung zu stärken. Die zwei internationalen Organismen erkennen die wichtige Rolle der Bauern an, was den Erhalt der Sorten in situ betrifft, das heißt auf dem Acker. Aber ansonsten bleiben unsere Fragen ohne Antwort. Überhaupt empfangen sie zum ersten Mal Bauern in ihren Büros. Inoffiziell geben sie auch zu, dass die Kriterien, um eine Sorte in das Saatgutregister aufnehmen zu lassen, wofür bezahlt werden muss, nicht unbedingt den Kriterien der Bauern entsprechen. Die Bauern arbeiten mit Pflanzenstämmen, die eine große Vielfalt aufweisen, ein großes Anpassungsvermögen und Entwicklungspotenzial haben und widerstandsfähig sind.
Die industriellen Sorten bedeuten mit ihren fixierten Eigenschaften und keinerlei Anpassungsfähigkeit das genaue Gegenteil und die einfache Vervielfältigung eines Klons.
Zum Abschluss
Andere Reisen fanden nach Österreich, Deutschland, die Schweiz, Spanien und Portugal statt. Im Frühjahr 2007 sind Reisen nach Rumänien und Bulgarien geplant. Es soll ein Netzwerk von Bauern aus ganz Europa entstehen, die sich gegenseitig im lokalen Widerstand unterstützen und die entschlossen sind, Druck auf die nationalen, europäischen und internationalen Institutionen auszuüben, damit sich die Gesetzeslage im Sinne einer größeren Freiheit für uns entwickelt.
siehe Archipel Nr. 116, Mai 2004
siehe die Wochenzeitung WOZ Nr. 49, 7.12.2006, Zürich
siehe Archipel Nr. 146, Februar 2007