Seit zwei Jahren schon schlägt sich Kokopelli in einem Rechtsstreit ohne Ende mit der Justiz herum. Im Jahr 1998 wurde in Frankreich durch die halbstaatliche Organisation GNIS (Nationaler Berufsverband für Saatgut- und Pflanzenproduktion) und dem FNPSP (Nationaler Verband der industriellen Saatgutproduzenten) ein staatliches Register für Gemüsesorten erstellt, die für Amateurgärtner bestimmt sind. Es sollte das bereits bestehende Register für Professionelle vervollständigen. In Wirklichkeit listet es aber nur einen Bruchteil der angebauten Pflanzensorten auf. Ausserhalb dieser zwei Register darf nichts verkauft, getauscht, ja nicht einmal verschenkt werden.
In einem der nächsten Artikel werden wir die Vorgeschichte zur Gründung des Offiziellen Saatgutkataloges in Frankreich detaillierter erzählen. Im Moment ist es für uns vor allem interessant zu wissen, dass Frankreich die Europäische Direktive Nr. 98/95, die den Samenhandel in Europa festlegt, einschliesslich genmanipulierten Saatguts, ratifiziert hat. Von den deutschen grünen Abgeordneten wurde ein Artikel eingefügt (Artikel 17), der die Erhaltung und Verbreitung von Saatgut sogenannter 'conservation varieties' begünstigt. Unter welchen Bedingungen eine Pflanzensorte als 'conservation varieties' gilt, ist bis heute unklar und der Artikel 17 wurde bis heute noch nicht in das französische Recht übertragen. Dieser Umstand ermöglicht es den oben genannten Verbänden jetzt, Kokopelli im Namen des alten nationalen Gesetzes, das noch immer gültig ist, anzugreifen. Der Verein wird angeklagt, illegale, weil nicht im französischen Katalog eingeschriebene, Pflanzensorten zu verbreiten (zu verkaufen, zu verschenken oder einzutauschen). Die Anwälte von Kokopelli berufen sich in ihrer Argumentation auf den Artikel 17 der Europäischen Direktive, der auch in Frankreich schon seit Jahren angewendet werden sollte. Das Gericht von Alès gab ihnen in erster Instanz Recht. Als jedoch Berufung eingelegt wurde, nahm das Gericht von Nimes die Argumente der Verteidigung einfach nicht zur Kenntnis. Es entschied nach den Beschwerden des GNIS und der Steuerbehörde. Das Urteil lautet: 20.000 Euro Strafe plus Deckung der Gerichts- und Presseunkosten.
Schachtelhalm und Brennnessel Ein Grossteil des Saatgutes von Kokopelli ist also illegal, obwohl der Staat Frankreich regelmässig von Europa wegen Nichtrespektieren der gemeinschaftlichen Entscheidungen behelligt wird.
Diese Verurteilung fällt in eine ziemlich konfuse Situation in Frankreich. Es wurden nämlich heuer schon einige kleine Vereine belästigt. Es ging um «Biotope des Montagnes», eine Kooperative von 15 Produzenten von Genuss-, Heil-, und aromatischen Pflanzen im Süden Frankreichs. Ihr wurde, ebenfalls von der Steuerbehörde, ein Prozess wegen illegalem Verkauf von Pflanzen, insbesondere von wildem Schachtelhalm, und wegen Rechtsbruch im Zusammenhang mit der Ausstellung oder dem Verkauf von Lebensmitteln, Getränken und sonstigen «gefälschten, verdorbenen oder giftigen» Landwirtschaftsprodukten, angehängt. Sie wurde in erster Instanz zu einer Geldstrafe von 5.000 Euro und einem Verkaufsverbot verurteilt. Das Ergebnis der Berufung ist noch nicht bekannt; es wird jedoch nichts Gutes erwartet. Um «Biotope» verurteilen zu können, stützt sich die Behörde auf eine neue europäische Gesetzgebung bezüglich Lebensmittel und Zutaten für Nahrungsmittel, die vor allem gentechnisch und anders veränderte Lebensmittel betrifft. Ist der Schachtelhalm, eine prähistorische Pflanze, die seit Menschengedenken zum Verzehr, in der Phytotherapie, als Dünger und zur Pflanzenbehandlung verwendet wird, plötzlich verfälscht oder giftig?
Eine andere Affäre hat diesen Sommer die französische Öffentlichkeit beschäftigt. Hier ging es um die Brennnessel. Ein Produzent von Brennnesseljauche der gleichzeitig ein Buch mit altbekannten Rezepten dafür geschrieben hat mit dem Titel: «Brennnesseljauche und Co.» wurde von der Steuerbehörde behelligt. Sie beschlagnahmte viel Material und bedrohte den Produzenten ernsthaft. Auch dieses Mal berief man sich auf eine neue europäische Direktive, in der die Genehmigung von neuen phytosanitären Produkten gefordert wird. Ein sehr kostenaufwendiges und kompliziertes Verfahren, das im Prinzip für neue chemische Industrieprodukte bestimmt ist. Zum Glück hat sich die Presse der «Brennnesselaffäre» angenommen und sie einem breiten Publikum zugänglich gemacht. Die massive Unterstützung der Bevölkerung, darunter einige Abgeordnete, hat die Waage wieder ins richtige Lot gebracht: Es wurde ein Zusatz zu den französischen Durchführungsbestimmungen beschlossen, der besagt, dass seit langem bekannte, ungiftige Naturprodukte nicht von der Direktive betroffen sind. Uff, wir können aufatmen…
Aber welcher Hafer hat die französischen Behörden eigentlich gestochen? Diese drei Beispiele von kleinen Strukturen aus den Bereichen Samen, Heilmittel und Pflanzenschutz, die auf dem Wirtschaftsmarkt, der von den multinationalen Konzernen beherrscht wird, relativ unbedeutend sind, zeigen, dass es für die grossen Konzerne wichtig ist, jegliches Symbol von Unabhängigkeit und Autonomie zu bekämpfen. Es ist schon wahr, dass es für die französischen Behörden schwierig ist, dem Druck der Saatgut-, Pharmazeutik- und Giftmittellobbys nicht nachzugeben, weil diese einen grossen Einfluss auf das Bruttoinland produkt haben. Trotzdem kann man sich fragen, ob dieser Kampf nicht schon längst überholt ist. Diese Rechtsstreitereien sind ein riesiger Kräfteverschleiss und die Vereine werden daran gehindert ihr Wissen weiterzugeben. Und das soll wohl auch damit erreicht werden.
Die genetische Vielfalt
ist in Gefahr
Mehrere Gründe führen zu einer Verarmung der genetischen Vielfalt bei den Kulturpflanzen. Die Bilanz ist erschütternd. Laut einem Bericht der FAO von 1996 waren damals schon zwischen 75 und 90 Prozent des genetischen Reichtums verschwunden. Und wie sieht es heute aus, zehn Jahre danach?
Während Tausenden von Jahren entwickelten bäuerliche Gemeinschaften eine enorme Sortenvielfalt von Nutzpflanzen. Sie waren den örtlichen Bedingungen, dem jeweiligen Agrarsystem, den Bodenverhältnissen und dem vorherrschenden Klima angepasst. Sie wurden auch auf Krankheitsresistenz, für den Nahrungsmittelbedarf und für kulturelle Zwecke gezüchtet. Dies war nur möglich dank einer grossen genetischen Vielfalt: Die Pflanzen passten sich im Laufe der Zeit den äusseren Einflüssen an. Ende des 19. und anfangs des 20. Jahrhunderts entwickelte sich ein eigener Sektor für Saatgutproduktion. Hybrides Saatgut mit seiner vermeintlich grösseren Produktivität, die nur dank dem Einsatz von Pestiziden und Kunstdünger erreicht werden kann, setzte sich immer mehr durch.
Ein Sperrfeuer von Fehlinformationen setzte nun ein, um die Bauern, die Gärtner, die Obst- und Weinbauern davon zu überzeugen, dass ab jetzt nur noch Saatgut gut genug sei, das von Professionellen erzeugt wird. Innert knapp hundert Jahren riss eine Handvoll von Multis einen Bereich an sich, der während zehntausend Jahren Allgemeinbesitz war. Ohne methodische Organisation wäre dies nicht möglich gewesen. Landwirtschaftschulen, Zeitungen, Wissenschaftler, sie alle beteiligten sich am «Spiel» des Fortschritts. Und wer sich vor dem Fetisch Wissenschaft nicht beugte, wurde als Hinterwäldler oder gar als Idiot verunglimpft (so nachzulesen in Zeitschriften anfangs des 20. Jahrhunderts), der sowieso vom unaufhaltsamen Fortschritt überrollt werden würde. Die Semantik spielte dabei eine wichtige Rolle. Gewisse Ausdrücke änderten ihren Sinn und bezeichneten manchmal das pure Gegenteil ihrer ursprünglichen Bedeutung: zum Beispiel in der französischen Sprache das Wort»variété» (Varietät). Heute bezeichnet man damit identische Pflanzen, eine völlige Verkehrung des eigentlichen Sinns.
Diese Desinformation wurde unter dem Vorwand des Konsumentenschutzes von einer Fülle von Gesetzen begleitet. 1922 entstand ein Kulturpflanzenverzeichnis, zuerst für Getreide und nach und nach für alle anderen Pflanzenarten. Der GNIS (Nationaler halbstaatlicher Berufsverband für Saatgutproduktion) wurde 1941 unter der Regierung von Vichy gegründet, gefolgt vom CTPS, verantwortlich für die Kriterien zur Einschreibung von Kulturpflanzen. Der Vorsteher der Abteilung «Genetik und Pflanzenzüchtung» legte 1946 bei der Gründung des INRA (Nationales Forschungsinstitut für Landwirtschaft) den kognitiven und normativen Rahmen der Forschung in Genetik und Pflanzenverbesserung für die nächsten 25 Jahre fest. Er betrachtete die reinen Zuchtlinien als «die vollkommenste Form der Pflanzensorte. Der Vorteil der stabilisierten Sorte (reine Linie) besteht in der Möglichkeit, sie theoretisch ein für allemal zu fixieren, auf ihre Reaktionen in der Umwelt, für ihre Anbauweise und so kann logischerweise der höchste Ertrag erzielt werden». So wurde die Pflanzenselektion der bäuerlichen Landwirtschaft vollständig entzogen und in Experimentierstationen und Forschungslabors eingeschlossen, mit der Zielsetzung, fixierte Sorten zu erzeugen und den Dogmen Homogenität und Stabilität Rechnung zu tragen.
Züchtungsverfahren und Experimente an Pflanzensorten fanden also auf kleinstem Raum in Treibhäusern von Forschungsstationen statt, unter identischen Bedingungen, mit Kunstdünger, Pestiziden und Bewässerung. Die Pflanzen hängen am Tropf und werden auf ihre Kapazität gezüchtet, in dieser künstlichen Umwelt möglichst ertragreich zu sein. Pflanzen, die sich vegetativ vermehren (Kartoffel, Knoblauch,…) werden in keimfreien Labors im Reagenzglas vermehrt. Das vorherrschende Landwirtschaftsmodell richtet sich auf Massenproduktion aus und benützt immer mehr Kunstdünger und Pestizide. Die Neuzüchtungen müssen trotz dieser Mehrkosten rentabel sein. Die Selektionstechniken orientieren sich immer mehr an der Biotechnologie. Da sich die Forschungskosten für Sortenneuheiten lohnen müssen, werden neue Märkte geschaffen, und das Recht auf geistiges Eigentum soll garantieren, dass die Investitionen Gewinne einfahren. 1961 wird das Recht auf geistiges Eigentum mit der Konvention der UPOV (Union für den Pflanzenschutz) auch auf das Saatgut übertragen. Hauptanliegen dieser Konvention ist die Förderung der industriellen Landwirtschaft in den Industrieländern. Das System UPOV gewährt Eigentumsrechte für Pflanzensorten, die nach strengen Kriterien gezüchtet wurden, zum Beispiel die genetische Gleichförmigkeit. Diese Rechte schützen den Pflanzenzüchter und seine kommerziellen Interessen. Die Konvention der UPOV etabliert Regeln, um für verbesserte und neue Pflanzenzüchtungen Monopole zu vergeben. Zwei verschiedene Verträge, von 1978 und 1991, sind in den Mitgliedsstaaten Europas in Kraft.
In Frankreich gilt der Gesetzesvertrag von 1978, er sichert den Züchtern das exklusive Recht für den kommerziellen Gebrauch (Vermehrung und Verkauf) der Pflanzensorten zu. Dieses Recht wird durch zwei Bestimmungen eingeschränkt: Die erste legt fest, dass die Saatguthersteller für ihre Forschungsarbeiten freien Zugang zu geschützten Sorten haben. Die zweite Bestimmung erteilt den Bauern unter gewissen Bedingungen eine Sondergenehmigung zur Wiederbenutzung des Saatgutes (ein so genanntes «Privileg» des Landwirts).
Als 1991 diese Konvention revidiert wurde, schränkte man diese Ausnahmeregelungen stark ein. Der Vertrag von 1991 weitet das Recht des Saatgutherstellers bis zu der vom Bauern eingebrachten Ernte aus (Von nun an muss der Bauer jedes Jahr sein Saatgut von neuem kaufen; er darf sein eigenes Saatgut nicht mehr benutzen, ausser er bezahlt dem Sortenbesitzer eine «angemessene» Entschädigung). Heute muss jeder Staat, der der UPOV beitreten will, den Vertrag von 1991 unterzeichnen, der in der Europäischen Union bereits in Kraft ist.
Die andere weltweit geläufige «Schutzvorkehrung» besteht in der Vergebung von Patenten. Alle Mitgliedstaaten der WTO (Welthandelsorganisation) haben die Verpflichtung, im Rahmen des TRIPS (Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen Eigentum) ein System zum Schutze des geistigen Eigentums für Pflanzensorten zu erstellen. Sie können dabei wählen: sie ordnen sich dem bestehenden Pflanzenschutzgesetz unter (oder sie schaffen selber ein solches System), sie unterstellen sich dem Patentrecht oder sie entscheiden sich für eine Kombination von beidem.
Der höchste Gerichtshof der Vereinigten Staaten gewährte 1980 das Patent auf einen gentechnisch veränderten Organismus, der eindeutig als «Lebewesen» bezeichnet wurde. Es handelt sich hier um einen sehr wichtigen Präzedenzfall in der Geschichte des geistigen Eigentums. Nach kurzem Zögern erkannte das Europäische Patentamt 1982 dieses Patent an. In der Folge wurden Patente auf Pflanzen (1985), auf Tiere (1988) und auf menschliche Embryos (2000) bewilligt.
Ursprünglich war das Patent ein Werkzeug der öffentlichen Hand, um innovative Produkte und Herstellungsverfahren zu schützen: Dem Erfinder wird das Monopol für die Fabrikation und den Verkauf während 20 Jahren zugesprochen. Hauptgrund für die Patentvergabe war die Neuheit einer patentierten Idee, der Erfindungsgeist in ihrem Konzept und das Industriepotential in ihrer Anwendung. In Wirklichkeit verzichtete man zugunsten einer industriellen Politik bald auf die klassischen Kriterien für eine Erfindung (Neuheit, genaue Beschreibung). Um die Patentierung von lebenden Organismen zu ermöglichen, erfolgte für biotechnologische Erfindungen eine Abweichung vom gemeinen Recht der Patente, und dieser Missbrauch hat die Tendenz sich zu globalisieren.
Sylvie Seguin
Longo maï
Quellen: Artikel von Jean Pierre Berlan im Archipel Nr.139, 140 Kurze Einführung in die Geschichte der Pflanzenzüchtung: Von den Ursprüngen zur Biotechnologie.