INTERNATIONAL: Die InternationalOrganisation for Migration ? im Fadenkreuz der Kritik

de Franck Düvell*(University of Exeter), 26 août 2003, publié à Archipel 107

Die International Organisation for Migration (IOM) ist eine bislang wenig bekannte Organisation. In der Bundesrepublik ist sie vor allem durch ihre Programme zur "freiwilligen Rückkehr" bekannt geworden, weltweit engagiert sich die IOM jedoch auf vielen Politikfeldern.

In jüngster Zeit häuft sich allerdings die Kritik, insbesondere aus dem Ausland, an ihrer Politik und Praxis.

Der Roma National Congress in Hamburg bezeichnet die IOM als einen "Feind des Volkes der Roma" und begann eine Informationskampagne unter ihren seinen Mitgliedern. Tony Bunyan von Statewatch/London hält sie für eine "sehr gefährliche Organisation". In Australien beschuldigen Amnesty International und die Grünen die IOM des Bruches der Genfer Flüchtlingskonvention. Die BBC Journalistinnen Sarah MacDonald und Kate Durham halten die IOM für eine "bösartige Organisation", während der britische Flüchtlingsrat (Refugee Council) die IOM für ihre Rolle bei der Rückführung von afghanischen Flüchtlingen kritisiert. In Quito/Ecuador demonstrierten Angehörige von in Spanien arbeitenden Erntearbeitern gegen ein von der IOM eingefädeltes Migrations- und Rückführungsabkommen.

Das internationale Netzwerk NoBorder koordinierte im Oktober einen Aktionstag unter dem Motto "Against the global migration management – for Freedom of Movement" und zielte damit vor allem auf die International Organisation for Migration (IOM). Auch Mitarbeiterinnen von Migrantinnen- und Prostituierteninitiativen sowie Kampagnen gegen den Frauenhandel äußern zunehmend Unmut über die Art und die Inhalte, mit der die IOM sich des Problems annimmt. Neben den Begünstigten der Rückkehrhilfe gibt es offenkundig auch Opfer der IOM, wie jene in dem eingangs erwähnten BBC-Film interviewten. Die können jedoch kein Zeugnis ablegen, denn sie sind entweder von der IOM in ihre Herkunftsländer zurückgeschoben worden, werden bereits auf dem Weg zu ihrem Zielort abgefangen und zurückgebracht oder werden in den Internierungslagern der IOM festgehalten.

Es scheint angebracht sich einmal näher mit der IOM zu beschäftigen und ihr etwas genauer auf die Finger zu schauen. Offenbar hält sie sich nicht immer und überall an das Prinzip der Freiwilligkeit, sondern macht sich selbst die Hände schmutzig bei der Durchsetzung von Migrationskontrolle und Abwehr.

Wer und was ist die IOM?

Die IOM mit Sitz in Genf wurde 1951 im Zeichen des Kalten Krieges von den westlichen Alliierten als Zwischen-Regierungsorganisation gegründet. Sie basiert nicht auf einem internationalen Vertrag, sondern einer Satzung. Anders als oft angenommen ist sie nicht Teil der Struktur der Vereinten Nationen (UN). Anfänglich war sie als Gegenorganisation zum UNHCR konzipiert und sollte die - zunächst überwiegend europäische - Nachkriegsmigration nach vorwiegend ökonomischen und politischen Gesichtspunkten gestalten. Doch heutzutage arbeiten IOM und UNHCR häufig Hand in Hand. Mittlerweile wurde die IOM den Erfordernissen der Globalisierung angepasst und wandelt sich von einem bloßen Instrument zu einem politischen Akteur. Sie ist eine transnationale Organisation, agiert außerhalb jedweder direkter demokratischer Kontrolle und beansprucht für sich die Rolle "der führenden internationalen Organisation für Migrationsmanagement". Einerseits gelten ihre Programme der Weiterflucht und Rückkehr, sie setzen am Prinzip eines Rechtes auf Rückkehr nach unfreiwilliger Vertreibung an. Andererseits gelten die Programme aber auch der Migrationskontrolle, dem Aufbau von - dem europäischen ähnlichen - Migrationsregimes, der Einführung von Ausländer- und Einwanderungsgesetzen, Einrichtung von Grenzkontrollen, Flüchtlings- und Abschiebelagern. Neuerdings hat die IOM auch das Management von Anwerbungsprogrammen für in Europa begehrte Arbeitskräfte übernommen und ist beispielsweise in das Green-Card Projekt sowie ähnliche Programme in Finnland, Italien und Spanien eingebunden. Zudem führt sie ein Gesundheits-Screening für Wanderungswillige durch. Darüber hinaus spielt sie eine Rolle bei der Einsetzung der zivilen Verwaltung im Kosovo, der Entwaffnung von Unita-Rebellen in Angola oder der Durchführung der Entschädigungsprogramme für nicht-jüdische Opfer der NS-Zwangsarbeiterpolitik. Die IOM ist eine rasch wachsende und immer komplexer werdende Organisation, innerhalb von wenigen Jahren hat sie die Zahl ihrer Niederlassungen verdoppelt und ihren Aufgabenbereich stark ausgeweitet.

Heute hat die IOM 93 Mitgliedsstaaten, 19 regionale Koordinationszentren und über 100 Niederlassungen. Die IOM hat Anspruch auf öffentliche und private Gelder, sie hat juristische Vollmachten und ihre Mitarbeiter genießen Immunität. Gelegentlich gebärdet sich die IOM auch als Migrationsunternehmen und bezeichnet jene Regierungen, in deren Interesse sie tätig wird als "Kunden". Ein wichtiger Partner sind außerdem die 88 großen internationalen Fluggesellschaften, mit denen die IOM Preisnachlässe von bis zu 60 Prozent ausgehandelt hat. Im großen und ganzen favorisiert die IOM die von der Weltbank vorgeschlagene Politik der Kooperation mit NGOs, die als Geldempfänger der IOM bzw. deren Mitgliedstaaten die eigentliche Basisarbeit machen.

Mittlerweile hat die IOM in den meisten europäischen Staaten Büros eingerichtet, in Deutschland, England, Belgien, Holland und anderswo koordiniert sie vor allem die Programme zur sogenannten freiwilligen Rückkehr von überwiegend abgelehnten Asylsuchenden. Aufgrund ihres internationalen Netzwerkes kann die IOM diese Rückkehrprogramme effizienter, kostengünstiger und weniger kontrovers betreiben, als beispielsweise herkömmliche Abschiebungen.

In Deutschland hat die IOM Büros in Berlin und Bonn, am Frankfurter Flughafen betreibt sie einen eigenen Schalter. Ihre Programme und Aufgaben werden im Rahmen von Partnerschaftsabkommen mit Kommunalbehörden oder Wohlfahrtsverbänden implementiert. Allein 2000 hat die IOM 75.000 Menschen im Rahmen ihrer sogenannten "freiwilligen Rückkehrprogramme" aus Deutschland ausgeflogen.

"Ordentliches Migrationsmanagement" oder brutale Abweisung der Unerwünschten?

Das bislang krasseste Beispiel über die Arbeit der IOM ist bislang aus Australien/Nauru bekannt geworden. Um die Zuwanderung von Flüchtlingen vor allem aus Afghanistan, dem Iran und dem Irak abzuwehren, führte die australische Regierung die sogenannte "pazifische Lösung" ein. Flüchtlinge und "Boat people" werden vor den Küsten des Landes abgefangen und häufig unter Anwendung von Gewalt auf die Pazifikinsel und eigenständige Republik Nauru gebracht. Dort hat die IOM zwei Internierungslager für insgesamt 1.300 Menschen, darunter auch viele Kinder eingerichtet und betreibt diese. Unter den Augen des IOM-Personals wurden beispielsweise die Flüchtlinge von dem norwegischen Frachtschiff Tampa unter Knüppelhieben sowie dem Einsatz von Elektroschock-Viehtreibern in die Lager gedrängt. Die Insel hat eine Einreisesperre für Journalisten und Rechtsanwälte sowie für Amnesty International erlassen. Unter gleißender Sonne und auf einer durch den Phosphatabbau ökologisch verwüsteten und vergifteten Insel sind die Flüchtlinge auf unbestimmte Zeit eingesperrt, sie dürfen die Lager nicht verlassen. Bei Protest werden sie in Einzelhaft genommen. Ein weiteres Lager betreibt die IOM auf der Militärbasis der Insel Manus/Papua Neu-Guinea. Diese Politik sei "unmenschlich" und die Lage in den Llagern "höllisch", so ai.

In der Ukraine ist die IOM ebenfalls an der Einrichtung zweier Flüchtlingslager beteiligt. Dort drängt sie die Regierung auf die Überwachung ihrer ehemals offenen Grenzen nach Rußland und Moldawien. Für die Grenztruppen organisierte sie eine Reise zu dem mexikanisch-amerikanischen Grenzzaun, um zu demonstrieren, wie ein effizientes Grenzregime aussieht.

In Frankreich führt die IOM in dem bei Calais gelegenem Flüchtlingslager Sangatte sogenannte Informationsseminare durch, mit welchen sie die Menschen von ihrem eigentlichen Ziel abzubringen versucht, nämlich nach England zu gelangen. Bislang mit wenig Erfolg, nur 17 von 17.500 Menschen ließen sich auf die "freiwillige Rückkehr" ein. Daraufhin wurden andere Töne angeschlagen. Die englische Regierung vereinbarte mit der französischen die Auflösung des Lagers. Zunächst hieß es, während der UNHCR für ca. die Hälfte der Insassen Asylverfahren betreiben soll, soll die IOM die andere Hälfte "freiwillig" in deren Herkunftsländer schaffen, wer dem nicht nachkommt soll regulär abgeschoben werden. Nach weiteren Verhandlungen wurde es dann der Hälfte der Migranten doch noch gestattet, als Arbeitssuchende nach England einzureisen.

Auch die Verhältnisse in Westafrika sind der IOM ein Dorn im Auge, das "freie Fluten" soll nun ein Ende haben. Auf einer Konferenz schlägt die IOM den dortigen Regierungen Staatsangehörigkeits- und Ausländergesetze, die Einführung von Personalausweisen, sowie Grenzkontrollen zur Regulierung der Wanderungsbewegungen vor. Dies erinnert ein wenig an die Fortführung der kolonialen Politik der willkürlichen Grenzziehung und Staatenbildung.

In Deutschland werden zunehmend Zweifel an der Freiwilligkeit den Rückführungen angemeldet. Tatsächlich ist es ja so, dass die IOM zwar das Prinzip der Freiwilligkeit aufstellt, die genannten Personengruppen aber überwiegend solche sind, die einer Ausreise- und Rückkehrpflicht unterliegen und z.B. bereits eine GÜ haben. Über die von der IOM koordinierten‚ freiwillige Rückkehrer-Flüge schreibt Georg Classen, "'freiwillig' bedeutet zumindest in Berlin, dass die Betroffenen durch Arbeitsverbot und vollständige Streichung der Sozialhilfe zur Teilnahme genötigt werden. Wer sich nicht für einen solchen Flug anmeldet, wird aus dem Wohnheim exmittiert und obdachlos ausgesetzt, ausgehungert und erhält keinerlei medizinische Versorgung mehr" . Genaugenommen hält sich die IOM also nicht an ihre eigenen Anforderungskriterien. So werden die Rückkehrprogramme sogar im neuen Ausreisezentren Bramsche durchgeführt. Der UNHCR hat demgegenüber Freiwilligkeit definiert als "die Abwesenheit von Maßnahmen, die den Flüchtling zur Heimkehr drängen, ...die Abwesenheit jeglichen physischen, psychologischen oder materiellen Drucks" . Mit der "Freiwilligkeit" dieser Programme ist es also nicht weit her.

Der Roma National Congress führt gegen die IOM einen Prozess vor dem Europäischen Menschengerichtshof in Straßburg. Sie beschuldigen die IOM, die Auszahlung der Entschädigungsgelder an ehemalige ZwangsarbeiterInnen in unverantwortlicher Weise zu verzögern. Außerdem werfen sie der IOM vor, maßgeblich die Beseitigung der Roma aus Westeuropa zu betreiben. Mit einem lachenden Auge schlägt der RNC den europäischen Roma vor, zwar die Rückführungsprogramme für die Reise in ein anderes Land zu nutzen, aber danach einfach wiederzukommen.

Kontrovers sind auch die IOM Programme gegen den "Frauen- und Menschenhandel". Sogar Europol warf der IOM bereits vor, diesen Begriff viel zu weitgehend auszulegen. Während er juristisch klar als "Gewalt, Bedrohung oder Missbrauch" definiert wird, versteht die IOM darunter jegliche ungesetzliche Bewegung von Menschen. Tatsächlich scheint es also vielmehr um die Verunglimpfung und Kriminalisierung von Migration zu gehen. Schaut man einmal genauer hin, ist festzustellen, dass 2000 nur 0,16 Prozent aller Rückführungen Opfer von Frauen- und Menschenhandel waren.

Im Umgang mit der IOM ist Vorsicht geboten

Die IOM beansprucht für sich, "Migration zum Nutzen aller zu managen" und dabei "die Menschenwürde und das Wohlergehen von Migranten aufrechtzuerhalten". Doch die Beispiele Nauru oder die Anklage des RNC widerlegen dies. Vielmehr verdichten sich die Anzeichen, das es sich bei der IOM um eine keineswegs nur menschenfreundliche Organisation handelt. Gelegentlich wird hier das Rückkehrrecht mit einer Rückkehrpflicht verwechselt. Tatsächlich handelt diese Agentur nur "auf Ersuchen" und im Interesse ihrer Mitgliedstaaten. Da diese für die Leistungen bezahlen müssen, sind es vor allem die mächtigen und reichen Länder dieser Erde, für die die IOM tätig wird. Sie baut an einem globalen Migrationsregime nach neoliberalen Gesichtspunkten, indem sie das böse Spiel der Differenzierung zwischen nützlichen und unnützen MigrantInnen mitspielt. Man träumt dort bereits von einem General Agreement for the Movement of People (GAMP) ähnlich den Abkommen für Waren (GATT) oder Dienstleistungen (GATS). Ob dies zu einem Mehr an globaler sozialer Gerechtigkeit beiträgt, oder im Sinne von Rawls "Theorie der Gerechtigkeit" das Prinzip der Bewegungsfreiheit garantiert, ist zweifelhaft. Verlierer, das zeichnet sich ab, sind die unerwünschten MigrantInnenen, jene, die weder das "Glück" haben als politisch Verfolgte anerkannt zu werden, noch zu denen gehören, deren Expertenwissen oder Arbeitskraft in den Wachstumsregionen dieser Welt gebraucht wird.

* Soziologe, Mit-Herausgeber/-Autor von Die Globalisierung des Migrationsregimes . Berlin, Assoziation A, 2002

Dieser Artikel erschien auch in: Flüchtlingsrat – Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachen, Heft 91/92, 2003, S. 27 - 29

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