Am 18. und 19. Mai organisierten das Europäische BürgerInnenforum und die "Nationale Koordination der Sans Papiers in der Schweiz" ein europäisches Treffen in Bern, an dem über hundert Personen aus elf verschiedenen Ländern teilgenommen haben. Unter ihnen befand sich Gazmend Kapllani, ein albanischer Journalist, der seit über zehn Jahren in Griechenland lebt. Er arbeitet punktuell für das "Alternative Mediennetzwerk in Südosteuropa" (AIM). Als ihm jetzt durch die griechischen Behörden die Abschiebung drohte, organisierte das EBF Interventionen aus verschiedenen Ländern zu seinen Gunsten.
Gazmend Kapllani ist albanischer Staatsbürger und lebt seit mehr als zehn Jahren mit einer jährlich erneuerbaren Aufenthaltsgenehmigung in Griechenland. Er ist ein bekannter und angesehener Journalist und Schriftsteller. In TA NEA, einer der größten griechischen Tageszeitungen, hat er eine eigene Kolumne und macht regelmäßig Sendungen für das nationale, öffentlich-rechtliche Radio Griechenlands. Inhaltlich setzt er sich in erster Linie mit Menschenrechtsfragen und im Speziellen mit den Rechten der Migrantinnen und Migranten in Griechenland und Südosteuropa auseinander. Gleichzeitig studiert er an der Panteion Universität, wo er derzeit seine Dissertation "Modernität und Anderssein – das Bild der AlbanerInnen in der griechischen Presse und der GriechInnen in der albanischen Presse" abschließt. Er ist Obmann des albanischen MigrantInnenforums. Außerdem schreibt er und veröffentlicht Gedichte sowohl in albanischer als auch in griechischer Sprache.
Am 27. Februar 2002 stellte er einen Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltsgenehmigung. Erst ein Jahr (!) danach, am 27. Februar 2003, erhielt er eine abschlägige Antwort von der zuständigen Ausländerbehörde. Begründet wurde die Ablehnung mit einer Stellungnahme des Ministeriums für öffentliche Ordnung, in welcher Kapllani als eine "gefährliche Person für die öffentliche Ordnung und die nationale Sicherheit Griechenlands" bezeichnet wird. Für diese Behauptung wurden – auch auf mehrfache Nachfragen von TA NEA, verschiedenen Politikern und Persönlichkeiten hin – keinerlei Beweise erbracht. Statt einer Erklärung erhielt Kapllani am 15. März 2003 Besuch von zwei Polizeibeamten, die ihn ohne Haftbefehl festnahmen und mit Abschiebung bedrohten.
Nur auf Grund nachdrücklicher Interventionen wurde Kapllani wieder auf freien Fuß gesetzt. Gegen die ministerielle Ablehnung seines Antrages auf Aufenthaltsbewilligung hat er Berufung eingelegt. Es ist offensichtlich, dass Gazmend Kapllani wegen seines Einsatzes für die Verteidigung der Rechte der ImmigrantInnen und wegen seines unerschrockenen öffentlichen Auftretens bestraft oder zumindest eingeschüchtert werden soll.
Dazu kommentierte die führende griechische Tageszeitung Eleftherotypia in ihrer Ausgabe vom 3. Mai 03: "Es ist klar, dass der Grund für die geplante Abschiebung von Gazmend Kapllani, die erniedrigenden Schikanen und die in der Öffentlichkeit verbreiteten Verleumdungen nicht in einem Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung liegt. (offizielle Begründung für seine Verhaftung, Anm. der Red.)*.
Der Grund ist anderswo zu suchen, nämlich in dem, was Kapllani darstellt: Ein politisch aktiver Intellektueller, der in allen Dingen, die er sich in seinem Leben vorgenommen hat, erfolgreich ist, offen schreibt und seine Standpunkte ausspricht, ohne vor irgendjemandem Angst zu haben und dabei ist er doch … Albaner. Gerade das widerspricht aber in unserem Land – und insbesondere innerhalb des Sicherheitsapparates – diametral dem Klischee, wie ein Albaner zu sein hat: Er muss so viel arbeiten, wie wir wollen, ohne irgendwelche Rechte einzufordern, ständige Schikanen über sich ergehen lassen, ohne sich zu beklagen und dann noch gelegentlich als nationale Gefahr herhalten."*
Im Teufelskreis der Grenzen
Doch lassen wir Gazmend Kappllani selbst zu Wort kommen. Im letzten Jahr sprach er in Bern über Immigration und Grenzen. Es ist eine unbequeme Stimme. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass sie zum Schweigen gebracht werden soll: "Ich habe eine etwas** außergewöhnliche Laufbahn hinter mir, weil ich mein Studium an der Universität abgeschlossen und sogar den Doktor gemacht habe. Jetzt arbeite ich aber als Journalist, wobei ich mich immer für die Frage der Immigration interessiert habe. Denn meine eigene Erfahrung hat mich tiefgreifend geprägt: dieser Wandel in meinem Leben, dieser Teufelskreis der Grenzen. Es klingt vielleicht simplistisch, aber ich denke, dass unsere Welt heute in zwei Lager gespalten ist: Das Lager einer Minderheit, für welche die Grenzen kaum Bedeutung haben; dann die große Mehrheit der Menschheit, die unter dem Syndrom der Grenze leidet. Dies ist eine Krankheit, durch die man sich unerwünscht fühlt. Diese Grenzen sind nicht nur die Außengrenzen eines Staates, sondern für den Immigranten auch innere Barrieren: Die fremde Sprache im Ankunftsland, die er sich aneignen muss; die Menschen, die ihm fremd sind; die Polizei, vor der er als "Sans Papier" unsichtbar bleiben muss; die Arbeit… Der Immigrant ist ein Wesen, das von äußeren und inneren Grenzen eingeschränkt wird. (…)
Nachdem Griechenland ein Auswanderungsland war, so ist es jetzt ein Einwanderungsland geworden wie die anderen Staaten Südeuropas. Dies bedeutet eine gigantischeVeränderung in der griechischen Gesellschaft. Doch während Jahren haben die Behörden diese Tatsache verdrängt und geleugnet. Erst im Jahr 1998 startete man einen ersten Versuch, der mit vielen Mängeln behaftet war, um Hunderttausende von Menschen zu regularisieren. Dieses Vorgehen hat zu sozialen Spannungen, zu brutaler Ausbeutung und zu Rassismus geführt. (…) Das Gesetz, das zur Legalisierung der "Sans Papiers" hätte führen sollen, beruht auf einem Konzept, das den Immigranten in eine außerordentlich prekäre Situation bringt. Der Unterschied zwischen dem "Sans Papier" und dem regulären Einwanderer wird verwischt. Damit wurde der Willkür Tür und Tor geöffnet und gleichzeitig eine Diskussion über Integrationspolitik und Bürgerrechte verunmöglicht. Diese Prekarität ist gewollt, denn man braucht eine Masse von illegalen Einwanderern für den sogenannt flexiblen Arbeitsmarkt. Der illegale Immigrant ist wirtschaftlich interessant, weil er Angst hat. Er versucht daher nicht, seine Lage zu verbessern. Wenn die Angst dazu führt, dass die Löhne sinken, wird der Fremdenhass zum integralen Bestandteil des Wirtschaftssystems. Man will die Immigranten als billige Arbeitskräfte, aber nicht als sozial sichtbare Menschen. Sie müssen unsichtbar bleiben – nach ihrem harten Arbeitstag. Deshalb müssen wir gegen dieses Unsichtbarsein ankämpfen! (…) Ich denke, dass Griechenland eine lange Reise vor sich hat, die noch ganz am Anfang ist…"
Doch wohin geht diese Reise? Griechenland hat gerade die EU-Präsidentschaft inne. Die griechische Regierung hatte angekündigt, dass die Immigration in Europa ein Hauptthema auf der Agenda sei. Die Art und Weise, wie Gazmend Kapplani von derselben Regierung behandelt wird, gibt Anlass zur Sorge um die Situation aller Immigranten und lässt am guten Willen der griechischen Behörden zweifeln.
Die Archipel-Redaktion
Auszüge von Stellungsnahmen zum Fall Kapllani
zu Handen des Ministers für öffentliche Ordnung und des Innenministers von Griechenland:
AIM: … Gazmend hat verschiedene Artikel für unser "Netzwerk unabhängiger Journalisten für Südosteuropa" geschrieben. Diese sind sehr geschätzt worden, vor allem in den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien. Sein Engagement für die Rechte der Minderheiten war eine positive Inspiration in den Ländern, die durch Nationalismus und interethnischen Hass erschüttert wurden, den skrupellose Journalisten noch zusätzlich geschürt hatten.
Nicholas Bell, Generalsekretär
Amnesty International: … Dieser Vorfall, der auf den Angriff eines Parlamentsabgeordneten gegen Herrn Kapllani und dessen Erklärung "Die Zukunft Europas ist multikulturell (…)" folgte, erweckt den Eindruck, dass die Maßnahmen gegen Herrn Kapllani wegen seiner öffentlichen Stellungnahmen und seiner Aktivitäten zu Gunsten der Immigranten ergriffen wurden.
Irene Chan, Generalsekretärin
Human Rights Watch : Die letzten globalen Ereignisse haben die Frage der Migration und die der Sicherheit miteinander verstrickt. Dies gab leider vielen Staaten einen Vorwand, um Migranten und manchmal ganze Migrantengruppen als Bedrohung für die öffentliche Ordnung und die nationale Sicherheit abzustempeln. Regierungen berufen sich oft darauf, dass Klassifizierungen der nationalen Sicherheit auf vertraulichen Informationen und geheimen Beweisen beruhen, die für den Migranten und dessen Vertreter nicht einsehbar sind. Dadurch ist es ihnen verunmöglicht, eine adäquate Verteidigung gegen die Klassifizierung und die mögliche Abschiebung aufzubauen. Wir fordern von der griechischen Regierung, offen zu legen, welche präzisen Aktivitäten und Verbindungen die Klassifizierung einer Person als Bedrohung für die öffentliche Ordnung und die nationale Sicherheit bestimmen.
Elisabeth Andersen, Executive Director Europe and Central Asia Division
Panteion Universität: Sicherlich geht es hier nicht um einen rein persönlichen Fall. Diese Sache enthüllt Mentalitäten, Meinungen und stark verankerte antidemokratische Praktiken. Wenn ein anerkanntes Mitglied der albanischen Volksgruppe, das in unserem Land auf strikte legale Weise lebt und arbeitet, auf eine derart willkürliche Art behandelt wird, ist das Signal an alle anderen Migranten mehr als klar.
Alkis Rigos, Präsident der politischen und historischen
Fakultät der Panteion Universität
AEKA: Ich bin bereit zu akzeptieren, dass Gazmend während zwölf Jahren wie Dr. Jekyll und Mister Hyde gelebt haben soll. Dass er uns alle betrogen hat: das nationale Radio, die Zeitung TA NEA, die Universität Panteion, AEKA – alle, die ihn respektieren. Ich bin bereit zu akzeptieren, dass er sich nächtlings in ein extrem gefährliches Wesen für die innere Sicherheit unseres Landes verwandelt. Ich bin bereit, es zu akzeptieren, aber das Außenministerium müsste es wirklich beweisen können. Weil, wenn es dies nicht tut, habe ich alle Gründe anzunehmen, dass es im Innern des Staatsapparates gewisse Kreise gibt, die einfache Migranten terrorisieren wollen, die dann sagen: " Wenn sie fähig sind, auf diese Art einen Weltbürger zu behandeln, der als Modell für eine kreative Integration in der griechischen Gesellschaft gegolten hat, was erwartet dann uns?"
Nikos Bistis, Vorsitzender des AEKA (Bewegung für die
Erneuerung und die Modernisierung der Linken)