Ganz in der Tradition der Sommerkongresse des EBF veranstaltete das Forum Civique-France Anfang August nach acht Jahren Unterbrechung wieder ein Treffen im Zeichen der Ost-West-Beziehungen, dieses Mal war das Hauptthema die Musik
An die 40 Musikerinnen und Musiker aus Frankreich, Deutschland, der Schweiz, Moldavien und Serbien, die sich der Musik der Zigeuner aus Osteuropa verschrieben haben, lernten einander musikalisch kennen, spielten zusammen und ließen ein zahlreiches Publikum im Rahmen zweier Konzerte von ihrem Austausch profitieren.
Die Idee entstand im letzten Jahr. Comedia Mundi , die Musikgruppe von Longo maï, in der auch Mitglieder des EBF spielen, hatte auf ihren zahlreichen Reisen durch West- und Osteuropa mehrere Gruppen kennen gelernt, Freundschaften waren entstanden, die über den musikalischen Rahmen hinausgingen. Warum nicht alle diese Musikerinnen und Musiker zu einem großen Fest einladen, damit sie auch untereinander Bekanntschaften schließen? Gesagt, angepackt, getan.
Am 1. August war es dann so weit. Fünf Gruppen waren der Einladung gefolgt. Die Grine Kuzine aus Berlin, Musique Simili aus der Schweiz und Frankreich, Aksak und Poum Tchak aus der Provence, Comedia Mundi von Longo maï, die Blaskapelle von Stojan Krstic aus Südserbien*. Dazu einige «frei schwebende Atome» wie Nina Monteanu, Cymbalistin aus Moldavien, der Wandergeiger Martin Schäfer sowie der Sänger der Wiener Tschuschenkapelle Slavko Ninic, die sich den verschiedenen Gruppen anschlossen. Das Ergebnis war ein vielfältiges Repertoire, das von balkanischen Trompetenklängen, der Musik der ungarischen Zigeuner über berlinerisch gefärbten Klezmer bis zu occitanischen, polnischen, kroatischen und russischen Liedern sowie dem Swing der Manouchezigeuner reichte.
Am ersten Tag war ein informeller Kontakt zwischen den Musikerinnen und Musikern angesagt. Wir begannen um 11 Uhr vormittags miteinander zu spielen und hörten um 1 Uhr Früh auf. Schwer in Worte zu kleiden, was sich in diesen Stunden ereignete: Ein Trompeter des Stojan Krstic-Orkestar improvisierte zu den Swingklängen der «wilden Buben» von Poum Tchak , die Kontrabassistin von Aksak spielte furchtlos mit den neun Blechbläsern aus Serbien, der Akkordeonist von Musique Simili wetteiferte mit dem Geiger der Poum Tchak in der Schnelligkeit. Stile und Spielweisen vermischten sich in bisweilen ohrenbetäubenden Klängen, aber auch in ruhigen, konzentrierten Momenten, in denen die einen versuchten, sich dem jeweiligen Musikstil der anderen anzupassen. Denn das ist die Musik der Zigeuner, die sich in den Ländern, durch die sie zogen und sich niederließen, die Volksweisen und traditionellen Instrumente aneigneten – Geigen in Ungarn, Trompeten in Serbien, Gitarren in Spanien usw. - und ihnen eine neue Farbe verliehen, ohne sich um Autorenrechte und Lizenzen zu kümmern. Und das wird schließlich zum verbindenden Element, alles ist erlaubt, über Grenzen und Sprachbarrieren hinweg…
An den beiden darauf folgenden Tagen fanden in vier Dörfern um Limans herum öffentliche Proben und Workshops für Kinder statt. Die Communauté des Communes du Pays de Forcalquier , ein Zusammenschluss von 11 Gemeinden, die Projekte unterstützen, die in mehreren Dörfern stattfinden, hatte uns bei der Erstellung des Programms dieser Tage beraten. An die vierzig Kinder lernten im Rahmen zweier Workshops ein Lied, das sie zusammen mit den Gruppen vor dem Konzert des 4. August im Amphitheater von Grange Neuve zum Besten gaben.
Am Rande sei erwähnt, dass zwar allen Musikern eine symbolische Gage und die Reisekosten bezahlt wurden (herzlichen Dank an jene, die darauf verzichtet haben!), die Veranstaltungen aber auch dank der Unterstützung regionaler Institutionen der Provence und dem großen Publikumserfolg stattfinden konnten, denn, wie schon der ungarische Zigeunergeiger gesagt hat: «Ka Geld, ka Musik!»
Zum krönenden Abschluss dieser Tage der uneingeschränkten Improvisationen fanden zwei große Konzerte im Freilicht-Amphitheater von Grange Neuve in der Longo maï-Kooperative von Limans statt. Insgesamt 1200 Personen verteilt auf zwei Abende kamen, sahen, hörten und schwangen das Tanzbein bis spät in die Nacht, mitgerissen von den Darbietungen der Musikgruppen und der Magie dieser Abende unter dem sternenklaren Himmel der Provence, denn sogar der Wettergott hatte zum guten Gelingen des Festivals «Shavale» beigetragen, shavale , was in der Romasprache vielleicht «komm tanzen» heißt, wir wissen es nicht genau, jedenfalls ein klingender Titel, der seine Wirkung nicht verfehlt hat.
Nach diesem Höhenflug kehrten alle wieder zu ihren Aktivitäten zurück, Stojan Krstic und seine Kapelle, für die das ihre erste Reise nach Westeuropa war, brachen zum großen Blechbläsertreffen in Guca (Serbien) auf, die anderen zu diversen Konzerten oder wohlverdienten Ferien, ich tauschte mein Akkordeon mit dem Rotstift der Archipel-Redaktion. Doch es gibt nichts Besseres als solche Momente, um - sei es auch nur für einige Tage - das Grau und die Probleme zu vergessen (die es überall gibt, wie man oft in dieser Zeitung sehen kann) und Energie aufzutanken - bis zum nächsten Mal!
* siehe Archipel Nr. 111, Dezember 2003 «Surdulica, Reise ins Land der Trompeten»