Das Svydowets-Massiv ist eine Sehenswürdigkeit der ukrainischen Karpaten – sowohl für die Investoren, die hier ein Ski-Resort planen, als auch für die Umweltschützer·innen, die reichlich Beweise dafür anführen, dass ein riesiger Touristik-Komplex die Bergwelt zerstören würde.
Erst Ende letzten Jahres begannen viele Menschen, sich der Bewegung für den Schutz des Svydowets-Massivs in den Karpaten anzuschliessen.1 Diese Bewegung ist gegen den Bau eines gewaltigen Tourismusprojekts mit dem gleichen Namen, das Hunderte von Hotels, Luftseilbahnen und sogar einen Flugplatz in den Bergen beinhalten soll, um 28‘000 Tourist·inn·en täglich zu bedienen. Gefördert von der staatlichen Regionalverwaltung der Karpaten wird das Projekt als ein ökonomisches Wunderheilmittel für die notleidende Region gepriesen. Der detaillierte Plan wurde von den Rakhiv- und Tyachiv-Kreisverwaltungen in Auftrag gegeben. Der Investor für das Riesenvorhaben bleibt unbekannt, obwohl die Funktionäre selbst sagen, dass das Projekt als Ausweitung des benachbarten Bukovel-Bereichs geplant ist, dessen Eigentümer bekannt sind.
Nach Aussagen der Gegner·in-nen des Tourismuskomplexes – ukrainische und (andere) europäische Umweltschützer·innen und Wissenschaftler·innen – kann das Svydowets-Massiv solch ein Mega-Projekt nicht verkraften. Wertvolle Urwälder sind von Kahlschlägen bedroht, um Platz für Lifte und Hotels zu machen. Die Theiss würde sich von einem klaren Gebirgsfluss in einen Abwasserkanal verwandeln. Eigentümlicherweise neigen die Einheimischen dazu, den Funktionären die angeblichen Wunder vom Fortschritt zu glauben, die der Tourismus in die Gegend bringen soll. Hingegen wird den Naturschützer·innen misstraut, die erklären, dass statt Wunder nur zerstörte Berge zurückbleiben würden.
Immer neue Ansätze
Trotzdem gibt die Svydowets-Schutz-Gruppe nicht auf und fordert per Gerichtsbeschluss, dass öffentliche Anhörungen zum Projekt neu angesetzt werden. Nicht nur die Einheimischen aus den Dörfern Lopukhovo und Chorna Tysa, sondern auch relevante Spezialist·inn·en aus verschiedenen Bereichen müssen miteinbezogen werden. Im Falle einer positiven Umweltverträglichkeitsstudie (EIA – environmental impact assessment) will die Gruppe diese ebenfalls gerichtlich anfechten. Eine Petition für das Verbot des Bauvorhabens wurde eingerichtet und bisher von 4‘000 Ukrainer·in-ne·n unterschrieben. Die ukrainischen Umweltaktivist·inn·en bekommen auch Unterstützung von anderen europäischen Kolleg·in-n·en. Naturschützer·innen und Umweltorganisationen haben 5‘500 Briefe an den ukrainischen Präsidenten geschickt. 6‘000 Bürgerinnen und Bürger in der Schweiz haben eine Petition unterschrieben, die den Präsidenten, die Regierung und das Parlament auffordert, sich dem Problem zu widmen (die Petition wurde vom Schweizer Botschafter persönlich überreicht). Die ungarische Regierung hat ihre Einbindung in grenzübergreifenden Umweltverträglichkeitsstudien zum Projekt eingefordert, weil der bedrohte Fluss Theiss durch Ungarn und in die Donau fliesst. Doch die hohen ukrainischen Funktionäre schwiegen.
Das Parlament wird endlich aufmerksam
Am 7. Dezember 2018 berief schliesslich Ihor Lutsenko, Mitglied des Parlamentarischen Komitees für Korruptionsschutz und Gegenmassnahmen, eine Sitzung des «Unterkomitees für die Arbeit mit der Zivilgesellschaft» mit dem Titel «Die Svydowets-Gebirgskette: Perspektiven und Gefahren», ein. Laut Herrn Lutsenko war eine solche Sitzung überfällig, da «die Zahl der Anfragen bezüglich Svydowets einen kritischen Stand erreicht hat und es notwendig ist, darauf einzugehen und sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.»
Worüber haben sie also im Parlament geredet? Sie haben beide Seiten angehört. Sie luden diejenigen ein, die die Anfragen eingereicht haben (d.h. Naturschüt-zer·innen und Wissenschaftler·innen) und sich um das Schicksal der ukrainischen Karpaten sorgen. Sie luden auch diejenigen ein, die den detaillierten Plan der Baustelle aufgestellt haben, und auch die lokalen Funktionäre – letztere sind allerdings nicht erschienen.
Für ein Naturschutzgebiet
«Angesichts der Vielfalt und Einzigartigkeit der natürlichen Ressourcen der Landschaft des Swydowets-Massivs hat die Nationale Akademie der Wissenschaften der Ukraine (NAS) dort, wo der Bau des Projektes geplant ist, in den 1980er Jahren die Einrichtung eines Naturparks vorgeschlagen», sagt Olleksiy Vasyliuk vom I.I.Shmalhausen-Institut für Zoologie an der NAS. Dieses Gebiet stand schon immer im Fokus des wissenschaftlichen Interesses, da es der wasserreichste Teil der Karpaten ist – hier befinden sich die meisten Seen und daher auch einzigartige Lebewesen, die von ukrainischen Gesetzen und europäischen Konventionen geschützt sind. Wir sollten nicht in dieses Gebiet eingreifen, denn ein solches Vorgehen stünde im Gegensatz zum Gesetz, das den Naturschutz betrifft. Die in das Projekt involvierten Regierungsbehörden sollten sich dessen bewusst sein. Institute der Zoologie, Botanik, Geographie und Geologie an der NAS sind strikt gegen den Bau an einem Standort, der sich nach dem Ergebnis ihrer Forschungen am besten für die Einrichtung eines Naturschutzgebietes eignet und zwar in Form eines Naturparks.
«Die wichtigste Ressource von Svydowets, die Primär- oder Urwälder, sind von unschätzbarem Wert. Sie gehören zum nationalen Naturerbe der Ukraine und stehen unter dem Gesetz des Urwaldschutzes», erklärt Bohdan Prots, Direktor der Landschafts- und Biodiversitätsabteilung im staatlichen Naturmuseum der NAS. «Menschliche Aktivität ist für diese Wälder sehr bedenklich. Als Primärwälder anerkannt sind nur jene, ohne sichtbare Zeichen signifikanter Störung. Das vorgestellte Skiprojekt stellt eine Bedrohung für die präalpinen Primärwälder des Svydowets-Massivs dar. Einige Skilifte und Teile der Infrastruktur sind mitten in dieser Gebirgskette geplant und werden sie fragmentieren. Wir haben ausgerechnet, dass eine Fläche von mehr als 700 Hektar von derart grossformatiger anthropogener Aktivität definitiv beeinträchtigt oder sogar zerstört werden würde. Darüber hinaus läge das geplante Vorhaben direkt angrenzend an der UNESCO-Welterbe-Stätte des «Biosphärenreservates Karpaten». Geschäfte und Lifte lägen buchstäblich nur wenige hundert Meter neben dem Weltnaturerbe.» Herrn Prots zufolge empfehlen ukrainische Wissenschaftler·innen den Projektentwicklern, das Projekt an egal welchen anderen Ort zu verlegen, der weniger verletzlich und einzigartig ist. Aber leider ging niemand darauf ein.
«Ich vermute, sie sind so eingeschossen auf Svydowets, weil dort die grössten Wasserreserven im ganzen Karpatengebiet zu finden sind, die extrem wichtig für den Betrieb eines solchen Vorhabens sind. Die Geschäftsleute wollen wahrscheinlich die Erfahrung des benachbarten Bukovel-Resorts vermeiden, wo aufgrund von Wassermangel in zusätzliche Wasserzufuhr investiert werden musste. Des Weiteren ist der Gebirgszug von Svydowets noch nicht offiziell als Gebiet nach dem Gesetz von 2017 zum Schutz von Primärwäldern gemäss der ‚Rahmenkonvention zum Schutz und nachhaltiger Entwicklung der Karpaten‘ anerkannt. Ein Antrag auf Gewährung des Schutzgebiet-Status wird in der nahen Zukunft gestellt», berichtet Herr Prots. Die Initiativgruppe free svydovets arbeitet u.a. mit der Europäischen Kooperative Longo maï, dem Europäischen BürgerInnen Forum (EBF) und dem Bruno Manser Fonds in der Schweiz zusammen.
Bisher gibt es für das wahnwitzige Riesenprojekt offiziell keinen Investor – was leider nicht bedeutet, dass es keinen gibt. (...) Auf Dauer kommt sicherlich ans Tageslicht, wer alles dahintersteckt, und dementsprechend wird sich ein noch grösserer Widerstand regen.
Auszug eines Textes von Oksana Polishchuk und Tetyana Kohutych, Kyiv-Uschgorod
- Siehe Archipel 265: «Das Bergmassiv Svydovets retten» und 270: «Mobilisierung zum Schutz von Svydovets»