Während einer der letzten Versammlungen des Kollektivs gegen die Müllverbrennung von Port Saint-Louis de Rhône war eine gewisse Wut zu verspüren - Wut nach vier Jahren erfolglosen Kampfes in unterschiedlichsten Formen gegen die Weiterführung des Baus der geplanten Müllverbrennungsanlage. Für den 25. November 2006 wurde eine Demonstration organisiert, zunächst vor den beiden Bürgermeistereien von Fos sur Mer und Port Saint Louis, dann … woanders. Diesmal wurde nichts mehr verraten.
Am Vorabend goss die Tageszeitung La Provence Öl ins Feuer. Der Menschenauflauf wurde angekündigt, aber die Journalisten, enttäuscht über das Nicht-eingeweiht-sein in Ablauf und Ziel der Demonstration, glaubten die Meinung eines Polizeikommissars einholen zu müssen. Dieser, verschnupft über das Ausbleiben von Nachrichten aus den gewohnten Kanälen, warnte die Bevölkerung: «Wir gehen unweigerlich auf ein Drama zu.»
Wie, hat die Polizei am Ende gar den Finger auf die wunde Stelle der Müllverbrennung gelegt? Nein, die Mitglieder der Widerstandsfront von Golfe de Fos sahen sich dem Vorwurf von Verantwortungslosigkeit ausgesetzt: sie würden ihre Kinder während der Aktion auf der Strasse herumstreunen lassen und würden den Bremsweg von Schwerlastwagen nicht berücksichtigen. Abgesehen davon, dass «gebranntes Kind das Feuer scheut» . Seltsamerweise zeitigte die «Zusammenarbeit» mit den Ordnungskräften anlässlich der vorhergehenden Initiative katastrophale Ergebnisse: Ein Polizeibeamter hatte die Schlüssel für den Bus eingezogen, der die Leute zum Treffen mit dem Minister für Raumordnung bringen sollte. Diese Erfahrungen haben bei den Demonstranten dazu geführt, die folgende Aktion (die vom 25. November) erst im letzten Moment bekannt zu geben.
Das hat gut funktioniert. Die 2000 Personen, die aus eigener Kraft (sanfte Bezeichnung für Auto) die Baustelle der geplanten Müllverbrennungsanlage erreichten, haben schnell begriffen, worum es geht: in die Anlage eindringen und sich entschlossen zeigen, den Fortgang der Arbeiten zu verhindern. Die Entscheidung, zu mehr direkten Formen der Aktion überzugehen, wurde begünstigt durch die Enttäuschung über das Versagen der juristischen Mittel des Kampfes. Das letzte Gericht, bei dem die Baugenehmigung angefochten wurde, hatte den Fortgang der Bauarbeiten nicht
blockiert (Terrassierung und erste Betonschüttungen).
Da wir nicht zahlreich genug waren, eine gewaltlose Menschenkette um den Zaun herum zu bilden, wurde dieser umgekippt, um einem Grossteil der Leute Einlass zu verschaffen. Das fröhliche Durcheinander wurde nicht sehr beeinträchtigt durch ein paar Tränengasgranaten, die die etwa dreissig Bereitschaftspolizisten, unter deren Augen das «unerbittliche Drama» ablief, abschossen. Es sei bemerkt, dass Tränengas bei starker Brise wenig wirksam ist. Diese kleine Provokation wurde schnell durch ein oder zwei Steinsalven zum Erliegen gebracht. Daraufhin gab es ein gewisses «Sich abreagieren» an den Baustellenautos und einem schlecht verankerten Silo, der umkippte. Ich hatte den Eindruck, dass nach dem Entern der Baustelle schnell die Puste ausging, weil niemand diesen Fall vorher diskutiert hatte oder weil während der Aktion nicht kurz innegehalten wurde, um neu zu entscheiden.
Da sagte ich mir, dass vielleicht einer der Polizisten weiterhelfen könnte:
«He, 'tschuldigung, weisst du, wie's weitergeht?»
«Nee, die ham uns nix gesacht, keine Ahnung.»
Eine Dreiviertelstunde später ergriffen die Bürgermeister von Fos und Port Saint-Louis das Wort (ich konnte nicht sehen, ob sie es waren, die die Steine auf die Bereitschaftspolizisten geworfen hatten, aber sie waren da), um ihre Ohnmacht angesichts mangelnden Respekts vor dem BürgerInnenwillen zu bedauern. Ihnen und den Anführern der Widerstandsfront von Golfe de Fos zufolge ergab sich die Zulässigkeit der Aktion aus der sich häufenden Verweigerung von Rechtsmitteln durch die Justiz. Die Politik der vollendeten Tatsachen und der Beginn der Arbeiten nahm dem Kampf mit juristischen Mitteln quasi jede Hoffnung. Die Gemeinden können das Projekt für den Grossraum von Marseille nicht verhindern, die Seelilie wird mit ihren kleinen, muskelstarken Blütenblättern die Bulldozer nicht aufhalten. Schliesslich werden die Arbeiten bis zu den nächsten Wahlen, nach denen vielleicht alle Hoffnung darauf ruht, dass ein neuer Bürgermeister sich der Müllverbrennungsanlage widersetzt, in vollem Gange und die Verträge unterzeichnet sein.
Unser Kommen war, abgesehen von der symbolischen Besetzung der Baustelle und deren Verlassen, selbst bestimmt, der Zeitpunkt war selbst gewählt und hat immerhin den Fortgang der Bauarbeiten beeinträchtigt (beschädigtes Material und zu wiederholende Vermessungsarbeiten). Und es hat das Selbstvertrauen der anwesenden Personen gestärkt. Solange es möglich ist, mit offenem Visier zu agieren, werden wir nicht darauf verzichten. Überraschungseffekt und Frechheit funktionieren jedoch nur einmal, und keine gestaffelten Polizeiketten vor sich zu haben, ist aussergewöhnlich. Die Formen von Widerstand sind vielfältig und sollten ihre Spontaneität bewahren, anstatt dass sie vor lauter Ängstlichkeit und zu grossem Vertrauen in demokratische Spielregeln erstarren.
Noch am folgenden Tag hat sich eine Gruppe von RealschülerInnen in den Kopf gesetzt, gegen die Müllverbrennungsanlage zu demonstrieren. Das war mehr als legitim, denn in 5 oder 6 Jahren werden sie zwanzig sein. Nach alldem, was ihnen über dieses Projekt bekannt wurde, sind ihre Beweggründe und ihre Beunruhigung nur zu verständlich. Natürlich nicht allen. «La Provence» sieht sie lieber artig in ihren Klassenräumen sitzen, wie es die Schüler von Toulouse bis zum 21. September 2001 getan hatten. Wenn die BürgerInnen vom Golfe de Fos nichts anderes machten, als einen Gerichtsentscheid abzuwarten, sollten sie sich doch einmal in einen anderen Winkel unseres Landes blicken, wo «man sich seit langem mit dem gleichen Mist herumschlägt» : fünf Jahre nach der Explosion der Chemiefabrik in Toulouse gibt es immer noch keine juristische Entscheidung, keine Verantwortlichen.
Es wird Studien geben, die die Schädlichkeit von Müllverbrennungsanlagen in der «Version der 70er Jahre» belegen. Doch wie werden sie die neuen Normen beurteilen? Werden sie diese bejubeln oder uns die Handhabe geben zum Stop?
Eine letzte Bemerkung: Manche sehen in der Effizienz neuer Technologien den Weg zu einer angeblich «nachhaltigen Entwicklung» , es geht aber darum, Was und Wie diese Gesellschaft produziert, und vor allem: Wie man diese Logik durchbricht. Eine wesentliche Seite unseres Kampfes ist es, diese Frage weit in den Vordergrund zu rücken und anderen deren Bedeutung zu vermitteln, um die Ebene des «not in my back garden» (so was nicht bei mir) zu verlassen und zu einem «weder hier, noch dort» überzugehen.
Gregory Gallmann
Radio Zinzine