DOSSIER: Der «Garten Europas» in Zeiten der Krise
Ende November 2008 fuhren mehrere VertreterInnen des EBF zu Gesprächen mit den FreundInnen von der LandarbeiterInnengewerkschaft SOC nach Andalusien
DOSSIER: Der «Garten Europas» in Zeiten der Krise
Ende November 2008 fuhren mehrere VertreterInnen des EBF zu Gesprächen mit den FreundInnen von der LandarbeiterInnengewerkschaft SOC nach Andalusien. Im Rahmen unseres Einsatzes für die Unterstützung der MigrantInnen, die in den Gewächshäusern des intensiven Gemüseanbaus arbeiten, wollten wir uns an Ort und Stelle über die Folgen der Finanzkrise für die ausländischen und spanischen LandarbeiterInnen informieren.
Spanien ist davon bisher schwerer getroffen als andere europäische Länder. Gewissen Quellen zufolge übertrifft das Ausmaß des in Spanien verarbeiteten Betons während der letzten zehn Jahre die Gesamtmenge dessen, der in der übrigen Union verbraucht wurde. Der Boom der Baubranche hat zahlreiche Landarbeiter veranlasst, in diesen wesentlich lukrativeren Sektor überzuwechseln. Plötzlich standen die Kräne still, die Anzahl der entlassenen Arbeiter und Arbeitslosen stieg rasch auf (offiziell) 500.000 bei einer Gesamtbevölkerung von acht Millionen AndalusierInnen. Viele von ihnen sind in die Landwirtschaft zurückgekehrt.
Wir kommen, um ruhig zu diskutieren. Aber Ruhe ist nicht angesagt. Sofort nach unserer Ankunft nehmen uns die FreundInnen vom SOC nach Sevilla mit, um an der Besetzung des Büros von Asociafruit teilzunehmen: Es ist die letzte Episode einer einige Tage zuvor begonnenen gewerkschaftlichen Aktion (siehe Kasten).
Tierra y libertad Nach diesem Einstieg treffen wir uns mit etwa 10 VertreterInnen des SOC aus ganz Andalusien. Wir haben einen ruhigen Ort gewählt, wo Handys nicht funktionieren: Tierra y Libertad (Land und Freiheit) in der Nähe von Grazalema in der Sierra de Cadiz. Es handelt sich um eine vom SOC in den 1980er Jahren gegründete Kooperative, als junge LandarbeiterInnen auf die Europäische Kooperative Longo maï gestoßen waren. Die Region ist sehr schön - es gibt Wasser, was in Andalusien selten ist – und sie ist noch verschont von Monokulturen und Massentourismus. Doch die Kleinbauern, die hier während Jahrhunderten lebten, sind alle weggezogen. Nur einige wenige Begeisterte wie Paqui und Manuel von Tierra y Libertad halten durch, trotz der Landwirtschaftspolitik, die nur Monokulturen und große Betriebe fördert. Sie züchten Schweine, Schafe und Ziegen, betreiben Imkerei, machen Käse und Wurst, bauen Getreide und Futtermittel an. Mit der Hilfe von FreundInnen haben sie einige Wohnungen und ein Gemeinschaftshaus gebaut. Der Empfang ist herzlich, das Essen ausgezeichnet. Paqui und Manuel sagen zu uns: «Wir spüren, dass sich die Situation für die Leute geändert hat. Sie können sich keine Ferien bei uns mehr leisten, obwohl das nicht teuer ist und wir in der Nähe sind.» Sie wären gerne im Ausland bekannter. An der Küste, 100 Kilometer weiter südlich, scheint der Tourismus für AusländerInnen zu florieren. Dort arbeiten die Kräne weiter am Bau von touristischen Infrastruktur-Monstern. Paqui und Manuel haben Recht: Vielleicht sollten sie ein internationales, solidarisches Tourismusprojekt ins Auge fassen?
Die Krise gebiert Krisen Unsere FreundInnen vom SOC sagen uns: Die gewerkschaftliche Arbeit wird immer schwieriger. Natürlich haben die Unternehmer immer LandarbeiterInnen bevorzugt, die sich nicht gegen die Arbeitsbedingungen und auch nicht gegen die Löhne, die nie den Kollektivverträgen entsprechen, auflehnen. Aber sie suchen auch jene, die die Arbeit kennen, die sie rasch und gut verrichten. Solange die «Reservearmee» (die alles akzeptiert, nur um essen zu können) nicht allzu groß war, konnten die verschiedensten gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen gewonnen werden. Heute ist diese «Armee» stark angewachsen und vielfältiger geworden. SpanierInnen, ehemalige LandarbeiterInnen oder nicht, AusländerInnen mit oder ohne Papiere, kämpfen um die Erntearbeiten in den Intensivkulturen (außer in den Gewächshäusern von Almeria, wo die Arbeit noch zu hart ist, um SpanierInnen anzuziehen). Die Unternehmer nützen das aus, um aufmüpfige Arbeiter loszuwerden, wie in den nebenstehend beschriebenen Pfirsichplantagen.
Zu Beginn dieses Winters haben sich bereits dramatische Szenen abgespielt. In der Provinz von Jaén wird die Olivenernte vorbereitet. Tausende Arbeitssuchende aus Spanien und dem Ausland strömen in die Olivenhaine, die sich auf Tausenden Quadratkilometern ausbreiten. Es regnet, es ist kalt, die Ernte kann nicht beginnen, dennoch wird im ganzen Dorf plakatiert: «Alle Stellen sind besetzt, Ihr könnt wieder abreisen!» Hunderte Menschen schlafen auf den Straßen – vor allem Afrikaner – die trotzdem noch auf Arbeit hoffen. Sie essen in einer «Volksküche», die durch die große Nachfrage völlig überlastet ist. Einige haben ihr Glück in den Orangenplantagen bei Valencia versucht, doch auch dort übersteigt das Angebot bei weitem die Nachfrage: Die weltweite «Überproduktion», d.h. der niedrige Preis für das Kilo Orangen, veranlasst die Produzenten, die Früchte auf den Bäumen zu lassen.
Die Spannungen zwischen ethnischen Gruppen nehmen zu. Spanische TagelöhnerInnen haben hie und da eine Front gegen die «ImmigrantInnen» gebildet. Nur knapp konnte das SOC sie daran hindern, zu weit zu gehen. Doch das SOC kann nicht überall präsent sein. Die Anti-Einwanderungspolitik verschärft sich, es gibt immer öfter Razzien bei den Autobushaltestellen, in den Telefonzentren, in den Bars, überall, wo ImmigrantInnen zusammentreffen. Immer zahlreichere Arbeitsinspektoren kämpfen gegen die «Schwarzarbeit», sie arbeiten mit der Polizei zusammen, um die Zahl der Abschiebungen zu erhöhen. Mit lächerlich niedrigen Geldsummen werden die ImmigrantInnen dazu angehalten, in ihre «Heimat» zurückzukehren. Abdelkader und Spitou vom SOC erzählen, dass ganze Familien, die lange in Spanien gelebt haben, weggezogen sind. Nicht wegen der «Rückkehrhilfe», aber weil sie weder die Mieten, noch die in den «besseren» Zeiten angehäuften Schulden bezahlen können.
Je mehr Maßnahmen auf dem Arbeitsmarkt, desto mehr Organisationsformen auf dem ArbeiterInnenmarkt. Zulieferungsbetriebe, die oft nur aus einem einzigen Mann bestehen, sind in ganz Europa bereits am Werk. Der Zulieferer ist beauftragt, die nötigen Hände für eine bestimmte Arbeit aufzutreiben, der Landwirtschaftsunternehmer verhandelt nur mit ihm, zahlt ihm eine bestimmte Summe und entledigt sich jeglicher Verantwortung gegenüber den ArbeiterInnen (Löhne eingeschlossen) und dem Gesetz (Statut dieser ArbeiterInnen). Es ist eine völlig legale Organisationsform, die völlig illegale Praktiken nach sich zieht. In der letzten Zeit beobachtete das SOC solche Zulieferer, deren wichtigstes Werkzeug ein Handy ist, die eine ganze Ernte kaufen, noch bevor sie stattgefunden hat, und die sich um alles von A bis Z kümmern. Das sind geschlossene Systeme, bei denen es fast unmöglich ist, mit den ArbeiterInnen – vor allem aus dem Ausland – in Kontakt zu kommen. Man kann ihre Ausbeutung nur ahnen.
Keine Wunderlösung, nur kleine Schritte Das SOC ist die einzige Gewerkschaft in Andalusien, die gleiches Recht für alle ArbeiterInnen fordert, spanische oder ausländische, mit oder ohne Papiere. Eine enorme Aufgabe. Vorläufig bekommen die aus dem Baugewerbe Entlassenen Arbeitslosengeld, doch dieses ist zeitlich begrenzt. Ab dem 1.1.2009 brauchen Rumänen und Bulgaren keine Aufenthaltsgenehmigung mehr, um in Spanien zu arbeiten. Es ist schon fast eine Million von ihnen da. Wenn man auch die Zuwanderer aus Afrika zählt, ungeliebt und widerwillig geduldet, dann gibt es viele Menschen zu verteidigen. Wie sich der Herausforderung stellen?
Bei unseren Gesprächen waren wir uns alle einig, dass Ausbildung höchste Priorität hat: Wir müssen junge und weniger junge Menschen finden, um sie im Arbeits- und Ausländerrecht auszubilden und um ihnen Lust und Phantasie für den gewerkschaftlichen Kampf zu vermitteln. Gemeinsam haben wir ein bescheidenes Ausbildungsprogramm erarbeitet, und jetzt müssen wir die Mittel für die Finanzierung finden.
Information ist auch immer sehr wichtig – die Information der Öffentlichkeit aber auch der Arbeiter-Innen selbst. Mit Hilfe des EBF konnte das SOC zwei Beratungsstellen in der Provinz von Almeria einrichten, in der an die 100.000 Einwanderer während des Jahres leben. Doch viele LandarbeiterInnen müssen entsprechend der Ernten viel umherziehen. Warum also nicht ein mobiles Büro einrichten mit nützlichen Informationen in mehreren Sprachen, wo sich die ArbeiterInnen Rat holen und diskutieren können? Auch hierfür sind finanzielle Mittel vonnöten.
Wir sprachen auch von der Notwendigkeit, unsere Beziehungen mit den Herkunftsländern der ArbeiterInnen, die in der andalusischen Landwirtschaft arbeiten, zu verstärken. Es geht darum, die Leute vor dem Paradies der Festung Europa und der Rechtlosigkeit, die sie da erwartet, zu warnen, noch bevor sie abreisen. Aber wir wollen auch Leute finden, die dort landwirtschaftliche Projekte lancieren wollen. Diesbezüglich wurden in Zusammenarbeit mit der französischen Bauerngewerkschaft Confédération Paysanne in Rumänien bereits einige Kontakte geknüpft. Diese Arbeit wird umso effizienter sein, wenn sie von Menschen gemacht wird, die schon das Leben der MigrantInnen in Europa kennen.
Bleiben wir ein bisschen optimistisch. Natürlich bringt die «Krise» Schlimmes hervor. Aber nichts beweist, dass sie nicht auch interessante Veränderungen mit sich bringt, zumindest Veränderungen in Mentalitäten und Verhaltensweisen. Wir sind davon überzeugt, dass wir Verbündete für unsere kleinen Schritte finden werden.