Der industriellen Landwirtschaft Grenzen setzen

de Jürgen Holzapfel EBF, 10 déc. 2009, publié à Archipel 170

In Mecklenburg-Vorpommern, in der kleinen Ortschaft Alt Tellin, soll Europas größte Ferkelaufzucht-Anlage gebaut werden. Der niederländische Agrarindustrielle Adriaan Straathof plant die Produktion von 250.000 Ferkeln im Jahr mit 10.000 Mutterschweinen.

Für den Anbau von Soja werden Tausende Kleinbauern in Lateinamerika, wie z.B. in Paraguay, von ihrem Land vertrieben. Paraguay baut auf 2,6 Millionen Hektar größtenteils genmanipuliertes Soja an; das ist mehr als die Hälfte seines Ackerlandes.

Die zwei weit voneinander entfernten Auswüchse industrieller Landwirtschaft stehen in unmittelbarem Zusammenhang. Das enorme Wachstum der Soja-Monokulturen in Brasilien, Argentinien, Paraguay und Bolivien ist der ständig steigenden Nachfrage nach eiweißhaltigen Futtermitteln für die Tierfabriken in Europa und Ostasien zuzuschreiben. Die Entwicklung wird von Investoren beherrscht, die ihre Gewinne errechnen, jenseits von lebenden Tieren und Menschen, von Natur und Umwelt.

Zwischen einem Landwirt, der das Futter für seine Schweine selbst anbaut und einer industriellen Anlage zur Produktion von Schweinen, die das Futter in anderen Kontinenten anbauen lässt, besteht ein grundsätzlicher Unterschied.

Der Anzahl von Schweinen, die ein Landwirt mittels seiner Felder ernähren kann, sind natürliche Grenzen gesetzt. Die industriellen Schweinemastanlagen sind alle «bodenlos», das heißt, sie beziehen die Futtermittel nicht mehr vom eigenen Land, sondern aus Übersee und werden deshalb in der Nähe von Häfen gebaut. So lange die Flächen in Lateinamerika immer mehr für den Export statt für die Ernährung der eigenen Bevölkerung genutzt werden, sind der industriellen Fleischproduktion in Europa scheinbar keine Grenzen gesetzt.

Natürlich hat Europa zu wenig landwirtschaftliche Fläche, um den hohen Fleischkonsum der Bevölkerung zu decken. Man könnte daraus folgern, dass aus diesem Grund eiweißhaltige Futtermittel aus Übersee zugekauft werden. Es geht heute aber nicht mehr um einen Zukauf, sondern darum, dass in der industriellen Fleischproduktion überhaupt keine einheimischen Futtermittel mehr verwendet werden. Die EU-Agrarpolitik fördert diese Umstellung, und Millionen Hektar Land in Europa werden deshalb nicht mehr für die Tierzucht gebraucht. Auf den so frei gewordenen Flächen wird heute der Anbau von sogenannten Energie-Pflanzen gefördert, das sind ganz gewöhnliche Lebensmittel-Pflanzen wie Weizen, Zuckerrüben, Raps, Kartoffeln und Mais, die jetzt zur Herstellung von Biogas, «Biodiesel», oder Äthanol verwendet werden.

Bauern werden zu

Spekulanten

Die Globalisierung der Landwirtschaft hat diese von der Natur, von den Fragen der Ernährung sowie vom Boden losgelöst und zu einem wichtigen weltweiten Spekulationsmarkt werden lassen, der heute mehr Sicherheiten bietet als die meisten Finanzmärkte.

Alle landwirtschaftlichen Fachzeitschriften, ausgenommen die wenigen

Publikationen, die sich an die Kleinbauern wenden, enthalten Empfehlungen für Spekulationsgeschäfte auf dem globalen Agrarmarkt. «Der moderne Landwirt muss sich an den internationalen Märkten orientieren», lautet die Devise.

Wie instabil die internationalen Agrarmärkte sind seitdem staatliche Interventionsinstrumente, wie zum Beispiel Vorratslager, in der EU abgeschafft wurden, haben die Preissprünge der letzten zwei Jahre gezeigt. Im Januar 2009 lagen die Kosten für die Produktion von einem Kilo Schweinefleisch in einer Mastanlage mittlerer Größe bei 1,36 Euro, während der Erlös für ein Kilo nur 1,27 Euro betrug. Wer in diesem Monat verkaufen musste, hatte pro Schwein einen Verlust von 30 Euro. Durch die geringsten Veränderungen auf dem Soja-Weltmarkt wird ein Schwein zu einem Gewinn oder Verlust. Die Flucht nach vorne in immer größere Anlagen hat zum Ziel, billiger als andere zu produzieren und dadurch kleinere Schweine-Mäster vom Markt zu drängen. Der Fleischkonsum in Deutschland nimmt seit 1987 gleichmäßig ab, von 62 kg pro Einwohner im Jahr 1987 auf 40 kg im Jahr 2007. Der Export von Schweinefleisch aus Deutschland ist zwar gestiegen, der Import aber auch. Es besteht also kein wachsender Bedarf an Schweinen und der Bau einer Großanlage hat demzufolge die Schließung vieler kleiner Anlagen zur Folge. Wenn der Bauernverband von Mecklenburg-Vorpommern also das Projekt in Alt Tellin unterstützt, betreibt er Interessen-Vertretung für einen Großinvestor und Interessen-Verrat an 99 Prozent der Schweine-Mäster.

Umweltschutz – Nein danke!

Bedenken und Einschränkungen gegen industrielle Tierhaltung entstehen erst, wenn die Umwelt bereits beschädigt ist. Nachdem in vielen Gebieten der Niederlande das Grundwasser durch zu intensive Tierzucht, vor allem Schweinemastanlagen, bereits verseucht ist, hat die Regierung strengere Umweltauflagen eingeführt. Die Regierung sah sich gezwungen, durch Prämien für die Schließung von Mastanlagen die Umweltfolgen einzuschränken. In der Bretagne wurde ebenfalls abgewartet, bis es zu spät war. Die meisten Regionen der Bretagne haben kein trinkbares Grundwasser mehr, und die Bevölkerung kauft das Wasser in Flaschen. Dänemark, der größte Schweine-Exporteur Europas steht vor den gleichen Folgen. Dennoch werden keine politischen Entscheidungen getroffen, um Mastanlagen ab 1500 Tieren zu verbieten.

Es stinkt zum Himmel! Straathof und andere Investoren planen jetzt Anlagen für 30.000 bis 50.000 Schweine.

In Westdeutschland, in den Niederlanden und Dänemark wäre das undenkbar. Deshalb konzentrieren sie sich auf die neuen Bundesländer. Dort wurden nach der Wende zwei Drittel der vorhandenen Mastanlagen geschlossen. Die DDR hatte die Schweinemast weit über den eigenen Bedarf hinaus als Devisenbringer auf ein für die Umwelt unerträgliches Ausmaß betrieben. Die dadurch entstandenen Umweltschäden wurden in den Medien und von allen Parteien als Beispiel für die Rücksichtslosigkeit der DDR gegenüber der Natur angeprangert. In den Bundesländern Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern sind inzwi-schen mehr als 15 Schweinemastanlagen für jeweils 10.000 bis 50.000 Schweine geplant, teilweise schon bewilligt und gebaut.

1996 baute Adriaan Straathof in der Ortschaft Buren in den Niederlanden eine zweistöckige Schweinemastanlage. Statt der ursprünglich bewilligten 14.000 Mastplätze wurden mehrfach 20.000 Schweine in seiner Anlage gezählt. Der Gestank in der Gemeinde war unerträglich. Als die Gemeinde nach zehn Prozess-Jahren schließlich Recht bekam, musste er die Anzahl Tiere drastisch verkleinern. Seither konzentriert er sich auf die neuen Bundesländer. Straathof hat zum Ziel, neben der Anlage in Alt Tellin für die Ferkelproduktion auch 250.000 Schweinmastplätze zu bauen.

Eine Anlage für 15.000 Schweine wurde ihm bereits in der mecklenburgischen Gemeinde Medow bewilligt und gebaut. Schon nach einem Jahr stellten die Behörden fest, dass 22.000 Schweine in der Anlage gehalten wurden, und der Widerstand in der Bevölkerung nimmt zu. Grund dafür ist der Gestank in der ganzen Gemeinde.

Die gigantische Schweineproduktionsfabrik in Alt Tellin ist ein Spekulationsprojekt auf dem globalen Agrarmarkt. Der Spekulant Straathof ist allerdings noch klein, im Vergleich zu dem amerikanischen Schweinefleisch-Produzenten Smithfield, der in seinem Imperium eine Million Mutterschweine hält und jährlich 18 bis 20 Millionen Schweine produziert.

Der Widerstand nimmt zu In Alt Tellin wehrt sich, wie an vielen anderen Standorten, eine Bürgerinitiative gegen das Projekt. Die Argumentation von Straathof in einer Region mit mehr als 20 Prozent Arbeitslosigkeit könnte nicht einleuchtender sein: «Ich schaffe 25 Arbeitsplätze und investiere 25 Millionen». Ein so großes Projekt kommt nicht häufig in die von Abwanderung bedrohten Gemeinden. Der Bürgermeister bekommt leuchtende Augen und die Besitzer des vorgesehenen Geländes versprechen sich einen guten Verkaufspreis. Das hat offenbar ausgereicht, um eine knappe Mehrheit im Gemeinderat für das Projekt zu gewinnen. Bei der Unterschriftensammlung der Bürgerinitiative hat allerdings eine Mehrheit der Bevölkerung gegen das Projekt gestimmt, und es sind nicht wenige darunter, die sich schon zu DDR-Zeiten für ihre Umwelt eingesetzt haben. Sie setzen auf die Urlauber, die die schöne Landschaft im Tollensetal als Paddler oder Fahrradtouristen genießen wollen, und dafür haben sie bereits mehr als 25 Arbeitsplätze geschaffen.

Straathof wird die Gülle seiner Anlage in einer Biogas-Anlage verwerten, wodurch diese für die Böden nicht mehr schädlich sei. Dazu muss man zwei Dinge wissen. Zur Herstellung von Biogas aus Gülle wird heute hauptsächlich Mais oder Weizen der Gülle zugefügt. Zum Betreiben seiner Anlage braucht er mehrere Tausend Hektar dieser Lebensmittelpflanzen. Zweitens sind über die Auswirkungen der so vergorenen Gülle auf die Böden bisher kaum fundierte Untersuchungen durchgeführt worden.

Die Umweltbehörden, die jetzt noch den Antrag beurteilen müssen, sind objektiv überfordert. Wer liefert ihnen genaue Angaben über die Auswirkungen einer Anlage in dieser Größe? Untersuchungen darüber gibt es nicht, eine aufwändige Studie wäre notwenig. Ihre Entscheidung hängt also von ihrer Zivilcourage oder ihrer Korrumpierbarkeit ab.

Widerstand hier und dort In Paraguay haben im vergangenen Herbst Kleinbauern 200 verschiedene Felder besetzt, um die Aussaat von genmanipuliertem Soja zu verhindern. Die Konzerne gehen rücksichtslos gegen Kleinbauerngemeinden vor, die ihr Land nicht verkaufen wollen. Sie werden ganz einfach in einem Aufwasch mit den Soja-Feldern mit Round-up von Monsanto besprüht. Die Folgen sind Krankheiten, Missgeburten, Unfruchtbarkeit und die Zerstörung der Kulturen auf den Feldern der Bauern. Die Regierung stellt sich noch immer auf die Seite der Agrarkonzerne und schickt die Armee, um die Landbesetzer zu vertreiben. Es gab Tote, und viele Kleinbauern wurden verhaftet.

Die Flächen, die sie besetzen, sind symbolisch die Flächen der zukünftigen Ferkelanlage in Alt Tellin und der Widerstand der Kleinbauern in Paraguay ist Teil des Widerstandes hier.

Am 17. April ist der internationale Tag der Landlosen, ein Tag, den die weltweite Kleinbauernbewegung La Via Campesina ausgerufen hat, in Erinnerung an die Ermordung von Landlosen in Brasilien im Jahr 1996. An diesem Tag soll in Alt Tellin die Solidarität mit den Kleinbauern in Paraguay und dem Widerstand gegen die Großanlage demonstriert werden.

Die Initiative «Aktionsnetzwerk Globale Landwirtschaft» lädt ein, sich in vielen Formen am 17. und 18. April daran zu beteiligen: Durch Protestbriefe an die Landesregierung von Mecklenburg Vorpommern und an die Botschaft von Paraguay in Berlin. Durch einen alternativen Tourismus an diesen Tagen zu dem für die Anlage vorgesehenen Gelände.

Durch eine Versammlung der Bürgerinitiativen gegen die Mastanlagen in den neuen Bundesländern und einen Sternmarsch nach Alt Tellin.

Weitere Infos unter:

https://www.dissentnetzwerk.org/wiki/Aktionsnetzwerk_globale_Landwirtschaft