Unbeachtet von der Öffentlickeit wird in Costa Rica systematischer Rassismus gegenüber der indigenen Bevölkerung ausgeübt. Jerhy Rivera wurde am 24. Februar 2020 im indigenen Territorium von Terraba im Kanton von Buenos Aires im südlichen Costa Rica mit 5 Schüssen ermordet. Einige Tage vorher hatte sich ein Kommando von Nicht-Indigenen zusammengerottet und das Dorf von Terraba umstellt. Dieser Mob hatte einige Parzellen abgebrannt, die Leute beschimpft, bedroht, mit Steinen beworfen, mit Macheten angegriffen und letzten Endes eine Gruppe von Indigenen, die recuperadores (Landrückgewinner), mit Gewalt aus ihrem eigenen Territorium vertrieben. Auf der Finca Sonador, – unserem multikulturellen Dorf, gegründet von Longo maï –, gerade 50 km von Terraba entfernt, hatte die Nachricht von diesen Ereignissen bei allen, die Jerhy gut kannten, Unverständnis und Empörung ausgelöst. Wir unterhalten seit mehr als 30 Jahren gute Verbindungen zu der indigenen Bevölkerung und speziell zu der Familie von Jerhy. Oft waren Jerhy und sein Vater Enrique bei uns zu Besuch und nahmen an Konferenzen, Festivals und Diskussionen über Umweltschutz teil. Über die Finca Sonador kamen auch viele Freiwillige aus Europa nach Terraba. Sie brachten auf diese Art ihre Solidarität mit den indigenen Einwoh-ner·inne·n, den Teribes, in der Problematik des sie bedrohenden Staudammprojektes El Diquis zum Ausdruck. Wenige Tage vor der Ermordung von Jerhy gab es in unserem Dorf am Festival Madremonte eine spezielle Ehrung der indigenen Kulturen des südlichen Costa Ricas.
Rechte der Indigenen archiviert
Nach den offiziellen Statistiken repräsentiert die indigene Bevölkerung in Costa Rica etwas weniger als 2 Prozent der Gesamtbevölkerung. Das sind etwa 100‘000 Menschen in 8 ethnischen Gruppen: Huetares, Malekus, Ngobes, Borucas, Teribes, Bribris, Cabecares und Chorotegas. Der Kanton von Buenos Aires weist die meisten indigenen Territorien auf: Salitre, Cabagra, Terraba und Boruca. In all diese Gebiete, die ab 1977 offiziell als indigene Territorien definiert worden waren, drangen Nicht-Indigene massiv ein. 88 Prozent des Territoriums von Terraba ist illegal besetzt von Nicht-Indigenen (Kleinbauern, aber auch Grossgrundbesitzer). Ihre Hauptaktivität ist die extensive Weidewirtschaft. Diskrimination und Rassismus gegenüber den indigenen Gruppen sind im Kanton von Buenos Aires, aber auch im gesamten Staatsgebiet, systemisch präsent. Die Regierung und ihre Institutionen zeichnen sich durch Untätigkeit und Mangel an Interesse für Lösungen der Konflikte aus. Die lokalen Verwaltungen und die Gemeinden entscheiden in den meisten Fällen unter dem Druck der nicht-indigenen Landbesetzer·in-nen für die Letzteren. Das Schulsystem in den Grundschulen und Gymnasien ist sehr lückenhaft. Die üblichen standardisierten Unterrichtsmethoden und Inhalte kommen zur Anwendung. In keiner Weise werden darin die traditionellen, kulturellen und ethnischen Eigenheiten der indigenen Bevölkerung berücksichtigt. Auch von Seiten des Parlaments gibt es nach 25 Jahren des Autonomiegesetzes für die indigenen Gebiete kaum Fortschritte. Die Gesetzesvorlage wurde archiviert. Im juristischen Bereich gibt es viel Korruption, die Nicht-Indigene in Streitfällen um Landrechte begünstigt. Die Justiz ist weit davon entfernt, für alle Bürger·innen in gleicher Weise zu agieren. Im Fall der Ermordung von Jerhy Rivera wurde vom ersten Tag an die These der «legitimen Verteidigung» zu Gunsten des Mörders aufgestellt. Drei Tage danach, noch vor dem Begräbnis, wurde der Täter auf freien Fuss gesetzt. Im Fall von Sergio Rojas, der vor einem Jahr im Territorium der Bribris ermordet wurde, wo es ebenfalls um die Rückgewinnung von indigenem Land ging, hat die Justiz bis heute noch keinen Täter ausfindig gemacht.
Privatisierung des Landes
Die Regierung könnte grössere Anstrengungen machen, die legitimen Rechte der Bewohner·innen in den indigenen Territorien zu garantieren. Aber es wird immer wieder anderen Bereichen, wie der wirtschaftlichen Entwicklung, den Infrastrukturen, den Interessen der Konzerne oder der Aussenpolitik, wie z.B. der Gleichschaltung mit den USA, der Vorrang gegeben. Die Regierung von Carlos Alvarado hat 2018/19 in Costa Rica eine neue Steuerreform verabschiedet, die vom fortschreitenden Neoliberalismus und den grossen finanziellen Organisationen eingefordert wurde. Diese Reform sieht eine weiteres Schrumpfen der staatlichen Einrichtungen und mehr Privatisierungen vor. Die sozialen Ungleichheiten im Land werden so noch weiter verschärft. In unserer Region im Süden begünstigt die Regierung die Expansion der grossen Konzerne wie Del Monte, der in den Kantonen von Buenos Aires, Pérez Zeledón und Osa tausende Hektaren Ananas unterhält. Es grenzt an Zynismus, dass zur gleichen Zeit in den indigenen Territorien die Landnahme von Nicht-Indigenen fortschreitet und Menschen, die sich für die Rückgewinnung ihres Landes einsetzen, bedroht, mit Gewalt verfolgt oder gar ermordet werden. Die Lösung des Problems des Landbesitzes und der Autonomie der Indigenen ist möglich, scheint aber momentan in weiter Ferne. Deshalb ist nationale und internationale Solidarität notwendig. Es muss vom Staat verlangt werden, dass er Massnahmen ergreift, welche die indigenen Territorien und die Personen, die sich für die Beachtung der Menschenrechte einsetzen, schützen.