«Warum setzen die hoch dotierten Entwicklungsexperten sich nicht für ein ausreichendes Einkommen, menschenwürdige Arbeit, medizinische Grundversorgung oder für Ernährungssouveränität ein?»
Diese Frage stellt der deutsche Journalist Gerhard Klas in seinem Buch Die Mikrofinanz-Industrie1. Er gibt im selben Atemzug die Antwort darauf, indem er sich scheinbar in die Haut der Profiteure versetzt: «Ganz einfach: Die Armen sollen diese Grundbedürfnisse mit ihren Kleinstunternehmen ‚verdienen‘, die sie mit Mikrokrediten finanzieren. In der Welt des unendlichen Wirtschaftswachstums muss auch die Armut noch profitabel sein.»
Das Fazit seiner Analyse: «Die Mikrofinanz und ihre Apologeten nehmen u.a. die Zerstörung der dörflichen Solidarität, des Zusammenhalts der Frauen und der Subsistenzwirtschaft billigend in Kauf und befördern Landflucht sowie sozialdarwinistische Gesellschaftsformationen, die auf dem ‚Recht des Stärkeren‘ fussen.»
Im Jahr 2006 erhielt Muhammad Yunus, ein Gelehrter aus Bangla Desh, den Friedensnobelpreis für seine Idee, die Armut mit Mikrokrediten bekämpfen zu können. Die von ihm gegründete Grameen Bank wurde international bekannt. Daraufhin entwickelte sich eine ganze Mikrofinanz-Industrie, die sich als Allheilmittel gegen die Armut präsentiert.
Gerhard Klas räumt gründlich und gut dokumentiert mit dem Mythos auf, dass Mikrokredite den Armen wirksam helfen. Gerhard Klas reiste durch Bangladesh und Indien, sammelte Aussagen von Direktbetroffenen, berichtet über Dorfbewohnerinnen, die aus ihrer Frauengemeinschaft verstossen wurden, weil sie ihre Raten nicht bezahlen konnten und von Menschen, die Selbstmord begingen, weil sie dem Druck der Mikrokreditgeber nicht standhalten konnten.
Der Autor gibt einen Überblick über die Auswirkungen der Mikrofinanz-Industrie auch in anderen Kontinenten wie Afrika, Lateinamerika und selbst in Europa, wo vom Staat geschaffene soziale Netze durch individuelle Aufnahme von Mikrokrediten ersetzt werden sollen. Doch Klas bleibt nicht bei seiner Analyse stehen, sondern er erzählt von aufkeimendem Widerstand gegen diese humanistisch verbrämte Ausbeutung und zeigt an Hand von mehreren Beispielen mögliche Alternativen auf.
Neuerscheinung zum selben Thema
Rendite machen und Gutes tun – Mikrokredite und die Folgen neoliberaler Entwicklungspolitik2. In diesem Buch zeigen Forscher, Entwicklungspraktiker und Journalisten – darunter Maren Duvendack, Thomas Gebauer, Kathrin Hartmann und Werner Raza –warum der Versuch, Armut mit Schulden zu bekämpfen, gescheitert ist. Darüber hinaus diskutieren sie Wege einer solidarischeren Entwicklungspolitik, die unter anderem auf subventionierte Kredite setzt, auf die Stärkung des öffentlichen Sektors und damit auf Kooperation statt auf Einzelkämpfertum.
- Gerhard Klas, Die Mikrofinanz-Industrie. Die grosse Illusion oder das Geschäft mit der Armut, 320 Seiten, Assoziation A, Berlin/Hamburg 2011, 19.80 Euro
- Gerhard Klas (Hg.) und Philip Mader (Hg.), Campus, Frankfurt a. M., März 2013, 19.90 Euro