Wie ist es möglich, dass Sie, als Verantwortliche für den inneren Frieden Ihres Landes, den Beschluss gefasst haben, die Angehörigen der Roma, Sinti und Ashkali bedenkenlos aus der Bundesrepublik Deutschland auszuweisen?
Erinnert Sie ein derartiger Beschluss nicht an mittelalterliche Zeiten? 1589 wurde in Sachsen, Thüringen und Meißen beschlossen, ihnen Hab und Gut wegzunehmen und sie samt Weib und Kind außer Land zu treiben. Sie wissen, welche Verfolgung und welche Verbrechen diese Völker seit dieser Zeit in Europa erlitten haben, weil sie anders sind. Ja, sie sind in vieler Hinsicht anders, so zum Beispiel beanspruchen sie kein nationales Territorium für sich. „Rom" bedeutet „Mensch" und keinen Nationalstaat. Auch haben sie keine Kriege gegen andere Völker geführt und gehören dennoch zu den Begründern Europas. Es ist völlig absurd, in der sich erweiternden EU, die Angehörigen dieser Völker aus einem Teil der EU auszuweisen. Wohin eigentlich?
In erster Linie meinen Sie Roma und Sinti, die während der Kriege im ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland geflüchtet sind und nun, Ihrer Meinung nach, dorthin zurückgeschickt werden können. Hat Ihre Regierung nicht genügend Vertreter in Uniform oder in Zivil in den einzelnen Republiken von Ex-Jugoslawien stationiert, um zu erfahren welches Leben die Betroffenen dort erwartet?
In Sarajevo zum Beispiel leben Roma-Familien, deren Kinder während Jahren in Düsseldorf zur Schule gingen und perfekt Deutsch sprechen, in ausgebombten Ruinen. Die fehlenden Wände versuchen sie mit Tüchern zu ersetzen. Im Kosovo können sie nur in Militärlagern vor Gewalt sicher sein. In den anderen Republiken ist ihre Situation kaum besser. Es sind Bilder, die vor dem Krieg als Begründung für eine militärische Intervention herhalten mussten, um die Rechte der Minderheiten zu garantieren.
Weshalb erinnern Sie uns ständig an die besondere Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel, während Sie die Roma und Sinti wie eh und je diskriminieren. Waren die Verbrechen an diesen Völkern etwa nicht vergleichbar mit den an Juden verübten? Haben sie etwa nicht genau den gleichen Anspruch auf Ihre besondere Verantwortung?
Es ist besorgniserregend für den inneren Frieden, wenn Sie den Bürgern vorführen, dass die Einen etwas Besseres seien, auf Grund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, als die Anderen. Mit dieser Haltung haben Sie demokratisches Empfinden zutiefst verletzt und wir erwarten von Ihnen, dass Sie diesen Beschluss aufheben.
Eine Demokratie misst sich daran, wie weit Sie in der Lage ist, anders Denkende als Teil der Gesellschaft anzuerkennen und nicht daran, wie viele sie ausweist.
Basel, den 5. Dezember 2002