ARCHIPEL AKTUELL: No Border - No Nation - No Control. Das europäische Camp in Straßburg 2002

14 juin 2002, publié à Archipel 95

Vom 19.-28. Juli 2002 werden sich Hunderte Europäer und selbstorganisierte MigrantInnen aus ganz Europa zu einem internationalen Aktionscamp in Straßburg treffen um dem „Inneren Sicherheitswahn“, der Ausbeutung durch Ausgrenzung und dem „Krieg gegen den Terrorismus“ ihre Visionen der Welt entgegenzusetzen. Unter anderem soll gegen das SIS (Schengen Informations System), der ersten supranationalen Fahndungsdatei, protestiert werden.

No Border Camps:Gute Ideen verbreiten sich schnell. Seit dem ersten Grenzcamp 1998 an der deutsch-polnischen Grenze trafen sich seither Tausende AktivistInnen bei den Camps in Deutschland, im südspanischen Tarifa, in Lendava im slowenischen-ungarisch-kroatischen Grenzdreieck, in Krynick an der Grenze zwischen Polen und Weißrussland oder auf Karawanen.

Die Idee der Grenzcamps
Sie war im Ursprung denkbar einfach: Während der Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Kapital durch die Politik erleichtert wird, gilt die Bewegungsfreiheit nicht für alle Menschen. Durch eine Abschottungspolitik der EU wird die Migration in erwünschte und unerwünschte Menschen geteilt. Der Versuch, die Grenze zu überwinden endet für unerwünschte MigrantInnen nicht selten mit dem Tod. Diejenigen, die es über die Grenze schaffen, werden durch neue Sicherheitsgesetze immer mehr mit der organisierten Kriminalität gleichgestellt und bieten als Illegalisierte oder „Sans papiers“ die billigste Arbeitskraft auf dem EU Arbeitsmarkt. Die Grenzcamps sollen auf diesen Widerspruch im herrschenden Globalisierungsdiskurs aufmerksam machen.

Auch im Sommer 2002 werden mehrere Camps stattfinden: Mindestens zwei in Deutschland, eines an der russisch-finnischen Grenze und eines in Polen. Doch sämtliche europäische Vereinigungen haben sich abgesprochen, um sich gemeinsam nochmals in Straßburg zu treffen. Das erste international organisierte No Border Camp wird zur Zeit von einem bunten Haufen europäischer Organisationen gestaltet.

Der Kontext
Die aktuellen militärischen Interventionen, mit dem Vorwand des „Krieges gegen den Terrorismus“, sind von Lateinamerika bis Zentralasien Reorganisierungskriege, um eine neue Ordnung der Ausbeutungsverhältnisse herzustellen. Dieser Reorganisierungsprozess hat in den Metropolländern, in denen sich der Wohlstand anhäuft, auch eine „innere Kriegsfront“ geschaffen, die sich am deutlichsten in der Verschärfung der sozialen Kontrolle äußert.
Die Regierungen bedienen sich des Diskurses des „Kampfes gegen den Terror“ und legen ihn je nach Bedarf anders aus um die sozialen Bewegungen zu bändigen.
Die Reaktion vieler Menschen ist es, dem Ruf nach mehr Sicherheit zu folgen und in vielen Fällen die autoritären Strömungen zu unterstützen. 1999 waren in der EU fast ausschließlich demokratische Parteien mit sozial-marktwirtschaftlicher Ausrichtung an der Macht. Heute sind rechtsextreme Parteien in mindestens fünf EU-Ländern bereits an der Macht beteiligt. Italien illustriert wahrscheinlich am besten wie polarisiert solche Verhältnisse werden können.

Widerstandsort: Straßburg Straßburg ist der Sitz verschiedener EU Institutionen wie das EU Parlament oder das SIS (Schengener Infomations System). Die Stadt wird seit einem Jahr von einer rechten Bürgermeisterin regiert. Der zuständige Politiker für die Verhandlungen über den Ort des „No Border Camps“ war vor 5 Jahren noch bei der Front National, eine der rechtsextremen Parteien Frankreichs.
Voraussichtlich wird das Camp in der Gegend eines Straßburger „Banlieue“, einem Wohngebiet am Stadtrand in dem viele MigrantInnen leben, stattfinden. Das Mouvement des Immigrés de Banlieue (MIB) sowie die Straßburger Sympathisantengruppe „festival permanent“ beteiligen sich an den Vorbereitungen des Camps. Die meisten MigrantInnen, die aus den ehemaligen Kolonien der „Grande Nation“ nach Frankreich auswandern, verkaufen ihre billige Arbeitskraft in den Fabriken, auf dem Bau, bei der Ernte auf großen Gemüse- und Obstplantagen oder in der Prostitution. Die Kolonien erkämpften ihre „Freiheit“, doch die koloniale Beziehung zu diesen Ländern und zu den MigrantInnen bleibt bestehen. Seit Jahrzehnten organisieren sich MigrantInnen und kämpfen für bessere Lebensbedingungen, gegen Ausgrenzung durch Sondergesetze und vorprogrammierte Arbeitslosigkeit. Regelmäßig sind Menschen aus den Banlieues, Opfer von Übergriffen seitens der Polizei.
Neben dem MIB sind aus Frankreich Gruppen gegen Abschiebungen und Kollektive für die Abschaffung aller Gefängnisse beteiligt. Außerdem machen mit: „Sans Titre“, eine Vernetzung städtischer und ländlicher autonomer selbstverwalteter Projekte, die sich zu gemeinsamen Aktionen gefunden haben; aus Österreich antirassistische Gruppen um die Wiener Volxtheater-Karawane; die EngländerInnen aus „barbed wire“ wollen ihre Aktionen gegen Abschiebehaft in Straßburg fortsetzen; „no border“ und „Rythms of Resistance“ Sambactivistas aus London werden beim Programm laut und farbig mitwirken; mehrere Internet-und Indymedia-AktivistInnen plädieren für freien Zugang zu Informationen und fordern die Auflösung des SIS. Auch aus Finnland hat sich ein erster Bus angemeldet. Aus Spanien und aus Germoney werden mehrere AntirassistInnen aus dem „Kein Mensch ist illegal“ Spektrum erwartet und die selbstorganisierten Flüchtlinge von „The Voice“ haben einen Konvoi für Bewegungsfreiheit und gegen die Residenzpflicht vom Camp in Jena nach Straßburg angekündigt... Eine interessante internationale Zusammensetzung erscheint zunehmend wahrscheinlicher.
Das Schengen Information System (SIS), wird von allen als symbolischer Bezugs- und „Anlauf“punkt erwähnt. Dieses elektronische Instrument der Kontrolle, Abschiebung und Kriminalisierung charakterisiert die europäische Vereinheitlichung sicher treffender als die kosmetischen Institutionen des Europaparlaments oder des Menschenrechtgerichtshofes. Letzterer wird nichtsdestotrotz zu einem weiteren Ort des Protestes werden, wenn „The Voice“ dort die Bewegungsfreiheit einklagen wird.
Für Samstag, dem 27. Juli soll es eine gemeinsame Abschlußdemo oder Aktion geben. Die genaue Form und Ausrichtung wird noch diskutiert und soll sich auch aus der Dynamik des Camps ergeben. Das Camp ist in einem anti-autoritären Rahmen organisiert und lebt von der Beteiligung und Eigeninitiative der Teilnehmenden. Diese temporäre autonome Zone steht im Gegensatz zu den vorhersehbaren Gegengipfelmobilisierungen und bietet einen guten Rahmen für Austausch und Aktion.

Mehr Infos:
Dokumentation über das Grenzcamp 2001 in Frankfurt: http://www.nadir.org/nadir/archiv/Antirassismus/grenzcamp01 - siehe Aufruf von D-SEC unter: http://www.dsec.info - SIS: gute Informationen unter www.statewatch.org

Kontakte:

Das nächste Vorbereitungstreffen findet am 29.+30. Juni in Straßburg statt. - Mouvement de l’Immigration et des Banlieues: http://mibmib.free.fr - Vorbereitungsplenum in Freiburg i.Br: noborder@umprowe-freiburg.de