Der folgende Artikel ist die Transkription eines Interviews mit Decio Machado, Gewerkschafter aus Huelva. Er war zu dem vom EBF organisierten Treffen in Bern am 18. und 19. Mai 2002 gekommen, um die Situation der Papierlosen in Spanien zu erläutern. Das Gespräch führte Ascen Uriarte vom EBF.
Seit vielen Jahren werden Tausende andalusische oder aus Portugal und Nordafrika immigrierte Tagelöhner (darunter zahlreiche Frauen) bei der Erdbeerente in Huelva beschäftigt. Die meisten Maghrebiner haben keine gültigen Papiere.
Letztes Jahr jedoch mobilisierten sich die Sans-papiers, um ihre Situation zu regeln. An die 1000 Personen besetzten fünf öffentliche Gebäude und es gelang ihnen, im ganzen Land Regularisierungsverfahren in Gang zu bringen. In Huelva bekamen alle, die ein Versprechen für eine Anstellung vorweisen konnten, eine Arbeitsbewilligung für die Provinz.
Doch die Landwirte wollten diese frisch regularisierten Arbeiter nicht anstellen. Sie konnten sich den „Luxus“ nicht leisten, Angestellte zu haben, die in der Lage waren, Forderungen zu stellen. Die Unternehmer beschuldigten schon immer die Gewerkschafter und weigerten sich, allzu kämpferische einheimische Tagelöhner anzustellen.
Ein anderes Phänomen spielte ebenfalls eine Rolle bei der Abweisung dieser Arbeiter. Die spanische Regierung und die Unternehmervereinigungen wollen die Einwanderer aus Afrika durch Arbeiter aus osteuropäischen Ländern ersetzen, die in einigen Jahren Mitglieder der Europäischen Union sein werden.
Im Herbst 2001 versammelten sich Regierungsbeamte, Vertreter der Unternehmer und der Gewerkschaften, um sogenannte „Herkunftsverträge“ auszuarbeiten. Spanien hatte gerade bilaterale Abkommen mit Rumänien und Polen unterzeichnet. Es wurde vorgeschlagen, 7500 solcher Verträge für 6500 Polen und 1000 Rumänen, vor allem für Frauen, zu erstellen.
An die 5000 Maghrebiner standen so von einem Tag auf den anderen ohne Arbeit da. Sie bauten Baracken aus Plastik in den Dörfern, in denen Erdbeeren angebaut werden, sie hungerten und mussten schließlich sogar um Wasser betteln. Im April diesen Jahres stellte die andalusische Regierung über NGOs 30 Millionen Pesetas für Nahrungsmittel und die Einrichtung von Sanitäranlagen zur Verfügung. In einigen Dörfern, wo inzwischen der Fremdenhass zugenommen hatte, wurden der Bau dieser Einrichtungen verhindert.
In Huelva fand kürzlich eine Demonstration von 4000 Personen gegen die „Unsicherheit“ statt, man sieht dort immer mehr Plakate der „Nationalen Demokratie“, die etwa dem Front National in Frankreich entspricht. Dieses Phänomen ist völlig neu in Andalusien, abgesehen von El Ejido. Man kann daraus schließen, dass ein für soziale Konflikte und den Aufstieg der extremen Rechten günstiges Klima geschaffen wurde.
Trotz der mit Polen und Rumänien unterzeichneten bilateralen Abkommen weisen die Gewerkschaften auf zahlreiche Abweichungen bei der Anwendung der darin festgelegten Konventionen hin. So werden den Neuankömmlingen zum Beispiel zehn Prozent ihres Lohns für die Unterkunft abgezogen, was ursprünglich nicht vorgesehen war. Da sie ihre Rechte nicht gut kennen, arbeiten diese Frauen mehr Stunden als die normale Arbeitszeit. Für viele von ihnen war übrigens gar keine Unterkunft vorgesehen, sie mussten sich in kleinen Wohnungen zusammendrängen.
Eigentlich hätten diese polnischen und rumänischen Frauen nach Ablauf ihres Arbeitsvertrages in ihr Land zurückkehren sollen. Die Unternehmer sind jedoch dabei, nach „legalen Mechanismen“ zu suchen, damit sie in anderen Regionen Spaniens für Erntearbeiten eingesetzt werden können, wie zum Beispiel in Lerida im Norden des Landes. Was in Huelva geschah, wird nun auch in anderen Provinzen eintreten, das heißt, dass die nordafrikanischen Arbeiter zugunsten dieser leichter zu kontrollierenden Arbeitskräfte vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sein werden.
Es gibt noch andere Folgen dieser Veränderungen. In den Dörfern rund um Huelva, die vor allem von der Erdbeerproduktion leben, ist der Lebensstandard in den letzten Jahren gestiegen. Die kulturelle Entwicklung aber hinkt hinter der wirtschaftlichen nach. Man stelle sich nun die Ankunft von 7500 jungen slawischen Frauen vor. Zahlreiche Familien sind bereits auseinandergegangen, die Prostitution hat in der Provinz stark zugenommen. Viele der jungen Frauen wollen auch nicht in ihre Heimat zurückkehren und verlieren so ihren legalen Status. Dieselbe Situation gab es bereits in Almeria, wo russische Frauen angeblich für landwirtschaftliche Arbeiten geholt worden waren, sich aber anschließend prostituierten.
Das Innenministerium veröffentlichte schließlich ein Rundschreiben, das es den Maghrebinern erlaubt, den Arbeitsplatz zu wechseln und in anderen Provinzen zu arbeiten. Viele von ihnen haben aber nicht mehr die nötigen Mittel für die Reise.
Man kann sich nun fragen, warum nichts gegen diese Situation getan wurde, denn das Rundschreiben vom Ministerium kam praktisch am Ende der Erntesaison an. Wir nehmen an, dass die 4000 Maghrebiner eine bedeutende Reservearmee darstellen, die an Feiertagen und bei großen Ernten arbeitet, was die Arbeiterinnen aus dem Osten nicht tun. Die Gewinner dabei sind einzig und allein die Unternehmer, die ihrerseits erklärt haben, sehr zufrieden mit der letzten Ernte zu sein.
Dieses Jahr wollen die Erdbeerunternehmer die Anzahl der Verträge noch erhöhen. Zur Zeit gibt es noch an die 2500 Personen ohne gültige Papiere, die in Lagern leben, die an jene der Flüchtlinge im Nahen Osten erinnern. Die humanitäre Hilfe der andalusischen Regierung ging Ende April zu Ende, was bedeutet, dass die Papierlosen wieder keine Sozialleistungen bekommen und keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Das Bild vom maghrebinischen Einwanderer, der sich weder wäscht noch rasiert und schlecht riecht, wird überall verbreitet und es taucht eine fremdenfeindliche Rechte in der Region auf. Die Bürgermeister der Provinz und die Dorfbewohner fordern Härte und Ausweisungen. Sie wurden erhört, denn die Behörden wenden diese Politik selektiv an und weisen den aus, der zu laut protestiert.