AFRIKA: Die Elfenbeinküste, ein Schulbeispiel 3. Teil

de Nicolas Furet (Radio Zinzine), 12 avr. 2005, publié à Archipel 126

Die Tragödie in Ruanda hat Laurent Gbagbo und sein Umfeld auf neue Gedanken gebracht. Er wusste genau, dass Frankreich durch die aktive Rolle, die es beim ruandesischen Völkermord gespielt hatte, angeschlagen war und fürchtete, sich nochmals an einem Massaker beteiligt wiederzufinden. Gbagbo zögerte nicht, in der Elfenbeinküste die gleichen kriminellen Mechanismen anzuwenden, wie sie einige Jahre zuvor in Ruanda zum Tragen gekommen waren:

Indoktrinierung, Kontrolle und Manipulation der Bevölkerung. Propaganda, Hass, Designierung eines inneren Feindes, Milizen, die aus Männern von Gbagbos Stamm zusammengesetzt waren, parallele Hierarchien, Todesschwadronen zur diskreten Beseitigung von Gegnern und Schaffung einer Angststimmung, Organisierung eines Teils der Bevölkerung in Meuten potenzieller Mörder - so wie es Präsident Habyarimana in Ruanda getan hatte. Gbagbo bediente sich der wohlbekannten Parole «Ich oder das Chaos» und gab sich beinahe gemäßigt, als der einzige, der die Ordnung wiederherstellen, die Dämonen in ihr Schattenreich zurückbefördern konnte. Ein höchst gefährliches Spiel, das jedoch die französischen Manöver neutralisierte.

Die Forces nouvelles ihrerseits alterten rasch und schlecht. Die aufständischen Truppen haben innerhalb von zwei Jahren das Ansehen verloren, das sie bei der Bevölkerung im Norden genossen, weil sie sich viel mehr wie eine Besatzungs- als eine Befreiungsarmee aufführten und, ebenso wie die reguläre Armee im Süden, Massaker verübten. Ihre Anführer hatten keinerlei politisches Programm, die Kämpfe unter ihnen forderten ebenfalls zahlreiche Todesopfer. Guillaume Soro zum Beispiel wird von mehreren Menschenrechtsorganisationen beschuldigt, zwischen 600 und 700 Anhängern von Ibrahim Coulibaly 1, seinem Hauptrivalen, mit dem Maschinengewehr niedergemäht zu haben. Die Einzelheiten dieser grausamen Machenschaften sind nur wenigen Leuten bekannt. Doch der allgemeine Verlauf der Kampfhandlungen war schwer zu verbergen und auf allen Seiten keineswegs glorreich.

Vielfältige Allianzen

Zwischen Januar 2003 und November 2004 zog Laurent Gbagbo mehrere Register: seine aus den Wahlen hervorgegangene Legitimität, seine defensive und offensive «ruandesische» Taktik, von Kakao- und Kaffeeunternehmen finanzierte militärische Aufrüstung (was wahrscheinlich den allzu neugierigen franko-kanadischen Journalisten Guy-André Kieffer im April 2004 das Leben kostete) und eine aktive Suche nach internationaler Unterstützung. Er fand sie in den USA, die ihm unter dem Deckmantel der AIDS-Bekämpfung eine großzügige Hilfe zukommen ließen. Er knüpfte Verbindungen zu gewissen evangelistischen Bewegungen in Amerika und schaffte es, sich mit Gaddhafi zu versöhnen, der bis zu diesem Zeitpunkt Blaise Compaoré, den Präsidenten von Burkina Faso, unterstützte 2. Er schien sich ebenfalls mit dem togolesischen Diktator Eyadema 3 und dem Angolaner Dos Santos gut zu verstehen.

Dieses Spiel beweglicher Allianzen steht sicher mit der Auflösung der Forces nouvelles im Zusammenhang. Gbagbo näherte sich auch dem israelischen Geheimdienst an, der heute in mehreren afrikanischen Diktaturen präsent ist. Als Pünktchen auf dem i seiner gut durchdachten Strategie der Machterhaltung verzichtete Gbagbo darauf, die Wirtschaft der Elfenbeinküste vom französischen Einfluss zu «säubern» und forderte Unternehmen wie EDF, Saur, Orange, Telecel, France Cable radio, Bouygues und andere wieder auf, in Sektoren wie Transporte, Wasser, Elektrizität und Kommunikation zu investieren.

Die Verträge von Accra «III» wurden am 30. Juli 2004 unterzeichnet. Die Verträge von Marcoussis waren unmöglich in die Tat umzusetzen gewesen, die Verantwortung dafür trugen beide Seiten. Die «Rebellen» der Patriotischen Bewegung der Elfenbeinküste (MPCI) kündigten ihre Beteiligung am Ministerrat am 4.März 2004 auf, traten am 25. März aus der Regierung aus und organisierten eine Demonstration in Abidjan. Diese wurde durch ein Blutbad, das 120 Todesopfer forderte, beendet, was eine erneute Eskalation in der Auseinandersetzung bedeutete und nichts Gutes für die Zukunft verhieß.

In dieser Situation wirkten die neuen Aussichten für die französischen Interessensgruppen eher beruhigend. Ein hoher Beamter der Elfenbeinküste sagte zu der belgischen Journalistin und Afrikaspezialistin Colette Braeckman: «Wir glaubten an die Globalisierung und wollten neue Partner finden, unsere Märkte öffnen. Doch dafür mussten wir die ‚Entkolonisierung’ unserer Wirtschaft aufgeben. Sozusagen das Messer am Hals mussten wir eine Pause einlegen». Abgesehen von der Illusion einer Entkolonisierung, dadurch dass man die französischen Multis hinauswirft und dafür amerikanische oder chinesische hereinholt, sagt diese Erklärung viel aus über die Frustrationen, welche die Privilegien der ehemaligen Kolonialmacht bei Patrioten der Elfenbeinküste hervorrufen.

Ende Juli schien sich die Situation mit «Accra III» wieder beruhigt zu haben. Dieser Vertrag legte einen Zeitplan für die Entwaffnung der Rebellen sowie für das Inkrafttreten der Reformen von Marcoussis fest. Eine weitere Pause, um die kommenden Ereignisse besser vorzubereiten?

Schwer zu sagen, doch in der Folge ging es Schlag auf Schlag. Am 13. Oktober erklärten die Forces nouvelles, dass sie mit dem Waffenniederlegungsplan nicht einverstanden seien, Anfang Oktober begann die Luftwaffe, Bouaké und die rebellischen Stellungen zu bombardieren. Am 6. November bombardierte ein von einem weißrussischen Söldner gesteuertes Militärflugzeug eine französische Stellung in Bouaké, wobei neun Soldaten getötet wurden.

Was dann geschah, wurde dann in Frankreich besser bekannt. Ein Offizier in Paris bezeichnete sie in einem Interview mit der satirischen Wochenzeitung «Le Canard enchaîné » als ein «Festival von Riesenblödheiten».

Ein Blatt der französischen Kolonialgeschichte wurde hier gewendet, ein Blatt in der Geschichte der Elfenbeinküste und Westafrikas.

Beziehungen zu Frankreich

«Es gab verschiedene Ansätze, doch Gbagbo scheint sich mit Chirac-Land nicht wirklich ‚versöhnen’ zu wollen. Vielleicht fürchtet er, betrogen zu werden, und möchte sich die Möglichkeit vorbehalten, weiterhin Schaden anzurichten? Er macht den Anschein zu verhandeln, doch seine Frau heizt die Stimmung an mit den ‚jungen Patrioten’, den Milizen des Präsidenten. Diese Ambivalenz ist nicht immer kontrollierbar. Kürzlich las ich Texte von Anhängern Gbagbos, die davon sprachen, die Rebellen im Namen der Bibel zu vernichten. Das ist neu und sehr beunruhigend», erklärte der Afrikaspezialist François-Xavier Vershave der Wochenzeitschrift Politis Mitte Juli 2004.

Tatsächlich scheint Gbagbo durch sein Umfeld und die «ruandesische» Strategie unwiderruflich in eine verbrecherische Flucht nach vorne getrieben. Man kann heute noch nicht mit Sicherheit sagen, ob der weißrussische Pilot den Befehl erhielt, am 6. November die französische Stellung zu bombardieren, oder ob es sich um einen Irrtum handelte, was sehr unwahrscheinlich ist. Bleiben uns nur Hypothesen und einige Elemente, die zu denken geben:

Es ist klar, dass Gbagbo - gestärkt durch die internationale Unterstützung, die Konzessionen an die französischen Multis und die Zersplitterung der aufständischen Front - nicht zögerte, den Waffenstillstand zu brechen und es auf eine Kraftprobe ankommen zu lassen, als die Rebellen ankündigten, das im Vertrag von Accra festgelegte Waffenniederlegungsprogramm nicht zu akzeptieren. Am 4. November bombardierte die Luftwaffe dreimal Bouaké, obwohl Chirac, das herannahende Unwetter witternd, mehrere Male vor einer Eskalation gewarnt hatte.

Am 6. November überflogen zwei Flugzeuge die französischen Stellungen, doch nur eines, das mit dem weißrussischen Piloten, bombardierte sie. Der andere Pilot soll dem Kollegen per Funk seine Verwunderung mitgeteilt haben, denn er hätte keinen Befehl bekommen, diese Ziele anzugreifen.

Ein drittes Element ist das Datum: genau zwei Tage nach der triumphalen Wiederwahl von G. Bush. Zufall?

Lag es in Gbagbos Interesse, Frankreich so brutal zu provozieren? Ich glaube nicht, aber wer weiß, was im Kopf eines kleinen Historikers, der plötzlich zum Autokraten «aufsteigt», vorgeht? Oder haben einige extremistische Militärs aus seinem Umfeld die Initiative ergriffen, um jegliche Rückkehr zum Status quo zu verhindern? Meinten sie, mit der diskreten, aber effizienten Unterstützung der amerikanischen Administration rechnen zu können, die sich sicher ins Fäustchen lacht, wenn die französische Armee wieder einmal in einem «afrikanischen Schlamassel» steckt? Doch das Weiße Haus hat andere Prioritäten, in der Elfenbeinküste gibt es kein Erdöl und auch keine Spuren von Bin Laden...

Noch ein Element sind die Präsidentschaftswahlen, die für Oktober 2005 vorgesehen sind. Hat Gbagbo Angst vor einer Niederlage? Will er das Datum hinauszögern oder visiert er eine Teilung der Elfenbeinküste an nach bosnischem oder sudanesischem Beispiel?

Wie dem auch sei, Frankreich jedenfalls hat der Provokation nicht widerstanden und brutal und sehr dumm reagiert, indem es auf das aggressive und paranoide Verhalten Gbagbos und sein Spiel der Strukturierung der ethnisch-politischen Radikalisierung einging. Dem Canard enchaîné zufolge stritten sich die Generäle in Paris heftig um die angemessene Reaktion und General Poncet 4, Oberbefehlshaber der französischen Truppen in der Elfenbeinküste, erhielt nur verschlüsselte Instruktionen. Die französischen Diplomaten in Abidjan ihrerseits beklagten sich, schlecht oder gar nicht informiert zu sein über die vom Elysée oder dem militärischen Oberkommando beschlossene Vorgehensweise.

Die französischen Medien taten sich durch ihre propagandistische, emotionale und einseitige Berichterstattung hervor, durch ihre Gleichgültigkeit gegenüber anderen Flüchtlingen als den französischen, gegenüber den Dutzenden Toten und Hunderten Verletzten, auf die rachsüchtige französische Soldaten ohne jegliche Rechtfertigung von Notwehr geschossen hatten. Die französischen Medien fanden ein breites Echo im Süden der Elfenbeinküste, wo die hasserfüllten, der Regierung nahestehenden Medien Hetzpropaganda gegen die Rebellen betrieben. Nur ein Team von der französischen Fernsehstation Canal+ sendete am 30. November Bilder von Militärs, die am 9. November in Abidjan in eine friedliche Menschenmenge schossen. Die neuerliche Ausstrahlung dieses Films, geplant für den 6. Dezember, wurde vom Direktor des Fernsehkanals vom Programm abgesetzt. Dieser steht selbst unter dem Druck des Generaldirektors von Vivendi, J.-R. Fortou. Vivendi, einer der drei großen Wassermultis, unterhält in Frankreich diverse Beziehungen mit Politikern aller Couleurs. Die Aufträge, die er vom französischen Staat erhält, sind zu einträglich, als dass er sich ihm nicht dann und wann erkenntlich zeigen müsste.

Die wenigen Medien der Elfenbeinküste, die zur Ruhe aufriefen, wurden zum Schweigen gebracht, einige Redaktionen verwüstet oder in Brand gesteckt. Es gibt noch eine Internetseite, www.24heuresci.com, die von einigen Journalisten betrieben wird, die sich noch gegen den ethnizistischen Diskurs wehren, aber das ist reichlich wenig. Die Relais, welche Radio France International, die BBC und Africa N°1 ausstrahlten, wurden sabotiert, der Direktor des Rundfunks der Elfenbeinkü-ste seit dem Abkommen von Marcoussis, Kebe Yacouba, entlassen. Kurz gesagt, ist der Süden des Landes einer ganz brutalen Propaganda ausgeliefert.

Die Reaktion der französischen Strategen, welche eine antifranzösische Welle in der Bevölkerung auslöste und zur Abreise der meisten in der Elfenbeinküste wohnenden Franzosen führte, wird sicher als grober Fehler in die postkoloniale Geschichte eingehen.

Die Situation am Ende des Jahres 2004 war für alle Seiten katastrophal und beunruhigend. Frankreich ist aus den Geschehnissen geschwächt hervorgegangen, zahlreiche Entwicklungshelfer und Unternehmer haben Angst und wollen nicht mehr in die Elfenbeinküste zurückkehren. Andere werden an ihre Stelle treten. Amerikaner, Chinesen und Israelis, von denen immer mehr in Abidjan zu sehen sind. Die schlauen Spürhunde des französischen Geheimdienstes haben ihre Kollegen aus Tel Aviv identifiziert, sie seien etwa 50 an der Zahl, welche die Armee der Elfenbeinküste unter anderem in der Abhörung von Telefongesprächen ausbilden sollen.

Die Welt der Globalisierung ist unerbittlich. Die Akteure der Françafrique scheinen das noch nicht ganz begriffen zu haben, obwohl sie sich sonst sehr dafür einsetzen. Und sie haben den «Zauberlehrling» Gbagbo gewaltig unterschätzt.

Die Auswirkungen dieser Krise auf die Region sind schwer abzuschätzen, vor allem weil sie noch nicht beigelegt ist. Zehntausende Flüchtlinge sind in die Nachbarländer geflüchtet, darunter Liberia, das selbst mit einer Kriegssituation zu kämpfen hat.

Die Wirtschaft der Elfenbeinküste stellte 40 Prozent des BIP von Westafrika 5 dar. Die Einmischung der Nachbarstaaten, allen voran Burkina Faso, wird nicht nur in den zwischenstaatlichen Beziehungen tiefe Spuren hinterlassen, sondern auch bei der Bevölkerung, welche aus einem Mosaik verschiedener seit langer Zeit zusammenlebender Völker konstituiert ist. Die ethnische Hasspropaganda hat leider Überhand gewonnen und ursprünglich sozio-ökonomische Differenzen in sogenannt ethnische verwandelt. Wie kann ein Ansatz zu einer nationalen Einheit wiedergefunden werden?

Dies ist die Aufgabe, die Thabo Mbeki von der Afrikanischen Union und der UNO anvertraut wurde. Letztere hat ein Embargo auf Waffenlieferungen verhängt und Sanktionen gegen einige Personen angekündigt, die als Verantwortliche für Massaker und andere Verbrechen identifiziert wurden. Gegen sie sind Ermittlungen im Gange.

Ohne diesen internationalen Institutionen nahe treten zu wollen und angesichts des geringen Interesses, welches das Schicksal der afrikanischen Völker in der Weltöffentlichkeit hervorruft, ist ihre Zukunft höchst ungewiss und stimmt nicht sehr optimistisch.

Nicolas Furet

Radio Zinzine

  1. Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Togo, Benin, Ghana, Guinea, Senegal, Liberia, Sierra Leone und die Elfenbeinküste

  2. Coulibaly befindet sich zur Zeit «im Exil» in Paris.

  3. Der Präsident von Burkina Faso, Blaise Compaoré, tötete 1987 den damaligen Präsidenten, seinen Freund Thomas Sankara, der es

gewagt hatte, in der UNO-Versammlung gegen Frankreich für die Unabhängigkeit Neukaledoniens zu

stimmen.

  1. Der kürzlich verstorbene Eyadema regierte Togo seit 40 Jahren mit eiserner Hand. Er war durch einen vom französischen Geheimdienst unter Foccart unterstützten Putsch an die Macht gekommen. Die ehemalige deutsche Kolonie Togo wurde nach dem Ersten Weltkrieg französisch-britisches Protektorat und ist heute ein Agrarland, das Phosphat und Arbeitskräfte exportiert.

  2. Henri Poncet, ehemaliger Kommandant der C.O.S. (Commandement des Opérations Spéciales ), Schlüsselfigur der aktiven Komplizenschaft der französischen Armee mit den ruandesischen Völkermördern, ist Spezialist für psychologische Kriegsführung.